Interview mit Ueli Hurter, Co-Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum und Dr. Alexander Gerber, Demeter e.V. Vorstand.
Fragen: Michael Olbrich-Majer, Chefredakteur Lebendige Erde
Lieber Ueli, lieber Alexander, Ihr, bzw. eure Organisationen haben vor vier Jahren zusammen mit der Biodynamic Federation Demeter International eine historische Studie und einen Essay in Auftrag gegeben. Das Buch“Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit: Akteure, Verbindungen, Haltungen“ wurde Anfang Juli im Berlin öffentlich vor reichlich Publikum von den Wissenschaftlern präsentiert. Der Essay zum ethischen Universalismus bei Steiner und zur Frage, ob Anthroposophie rassistisch sei, ist publiziert.
UH: Die biodynamische Bewegung stand an der Wiege des Ökolandbaus, ist aber auch der einzige Öko-Landbauverband, dessen Geschichte bis vor den zweiten Weltkrieg zurückreicht. Während des Dritten Reichs gab es bekannte Verbindungen einzelner Protagonisten der frühen biodynamischen Bewegung mit dem NS-Regime. Wir wollten genauer und wissenschaftlich belastbar wissen, welcher Art diese waren und wie stark darin auch unsere Vorläuferorganisationen verwickelt waren. Denn regelmäßig werden wir als Mitglieder der biodynamischen Bewegung und als Verband mit Vorwürfen konfrontiert, unsere Vorgänger hätten mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht und und mit ihnen ideologisch übereingestimmt. Und dazu wird behauptet, das sei ja kein Wunder, war doch Rudolf Steiner Rassist und Antisemit.
AG: Zu diesen Meinungen wollten wir Fakten haben, zumal die biodynamische Bewegung längst weltweit kultur- und religionsübergreifend verbreitet ist und wir uns als Demeter schon lange klar von rechtsextremen Bestrebungen distanzieren, z.B. in unserer Satzung.
Co-Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum
UH: Zum einen haben wir mit der Projektabwicklung den Forschungsring e.V. beauftragt, vor allem aber konnten wir ein dreiköpfiges Team unabhängiger Fachwissenschaftler für diesen Auftrag gewinnen, die bereits zu ähnlichen Themen bezogen auf die NS-Zeit publiziert hatten. Und, dieses Team wurde begleitet von einem fünfköpfigen externen wissenschaftlichen Beirat. Die Forscher arbeiteten komplett selbstständig und wurden von uns Auftraggebern allenfalls punktuell bei der Recherche unterstützt. Unser Ziel war es ja, eine objektive und belastbare Einschätzung zu bekommen.
AG: Zum einen war es gut, zu hören, dass es keine ideologische Schnittmenge zwischen Anthroposophie bzw. Biodynamik und der NS-Ideologie gibt. Zum andern bewegte sich die Mitgliedschaft von Biodynamikern in NS-Organisationen unter dem Bevölkerungsschnitt. Auch wurde in keiner der zahlreichen Korrespondenzen zwischen dem “Reichsverband für biodynamische Wirtschaftsweise” und der Nazi-Verwaltung oder in den Publikationen des Reichsverbandes Ideologie und Sprache der Nazis übernommen. Allerdings ist es erschreckend und wir können anderseits aus heutiger Sicht nur den Kopf schütteln, darüber, dass führende Biodynamiker das sich radikalisierende Unrechtsregime ausblenden konnten und mit ihm kollaborierten, auch wenn es dem Ziel diente, die Biodynamik zu retten oder voran zu bringen. Präparateversuche im KZ Dachau, da gruselt es einen, auch wenn die Häftlinge in dieser Abteilung wohl besser behandelt wurden. Selbst nach dem Verbot des Reichsverbandes 1941 ließen Nazigrößen Siedlungsbetriebe im Osten noch biodynamisch bewirtschaften. Insgesamt, so unser Fazit, ist das Agieren sowohl von Seiten der Biodynamiker als auch von Seiten des Regimes äußerst ambivalent.
UH: Gut, dass wir diese wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben haben, zum 100-jährigen Jubiläum gehört auch die Aufarbeitung von schwierigen Phasen. Damit zeigen wir, dass wir uns einer offenen, transparenten Gesellschaftsentwicklung zugehörig und verpflichtet fühlen. Bei der Lektüre der Studie haben wir uns an einigen Stellen gefragt, hättest Du damals gemerkt, dass Du dem Verbrecherregime die Hand gibst? Würdest Du es heute merken? Oder gibt es Anzeichen, dass wir uns auch heute mit einem System gemein machen, das gegen den Menschen gerichtet ist? Wo sind Grenzen im Wirtschaftlichen, Politischen, Ideellen für Partnerschaften, die wir eingehen? Ich meine, wir sollten mindestens in den Vorständen diese Fragen regelmäßig stellen. Nur wenn wir uns immer wieder diese unbequeme Frage stellen, können wir davon ausgehen, dass wir eine nächste mögliche Anbiederung oder Vereinnahmung rechtzeitig bemerken. Es ist eine Frage an unsere Organisationen aber auch an jeden Einzelnen von uns als in einem Gemeinwesen handelnde Menschen. Grundsätzlich herrscht, so scheint es uns, noch zu wenig Bewusstsein in der biodynamischen Bewegung für den prinzipiellen Unterschied zwischen einem irgendwie gearteten Biologismus und einem radikal freiheitlichen Menschenbild. Hierzu ein Beispiel: Unsere Liebe zum Bo den kann unbemerkt zu dem existenziellen Gefühl führen, ich gehöre zu diesem Boden, zu diesem Hof. Da lauert der Abgrund von ‚Blut und Boden‘. Radikal freiheitlich gilt: Der Boden gehört zu mir und nicht ich zum Boden. In diesem Sinne resümieren wir: Lasst uns wach sein und lasst uns die unbequemen Fragen regelmäßig stellen.
Demeter-Vorstand Dr. Alexander Gerber
AG: Die Würde von Mensch und Natur ist ein zentraler Gedanke in unserem Leitbild, ebenso gelebte Demokratie und das Ziel, wertschätzend, tolerant und respektvoll miteinander zu arbeiten. Diese Haltung fußt auf dem Anspruch der Anthroposophie, der Quelle des Biodynamischen, dass jeder Mensch in der Lage sein sollte, seine Individualität zu entwickeln. Gerade heute, wo rechtsextreme Akteure wie völkische Siedler sich auch im Naturschutz und Ökolandbau engagieren, um gesellschaftliche Akzeptanz zu gewinnen, ist es wichtig, dass Verbände des Ökolandbaus genau hinschauen und sich klar von diesen Gruppen abgrenzen. Dafür ist es hilfreich, zu wissen, dass es eben keine ideologische Übereinstimmung des Biodynamischen mit dem NS-Gedankengut gab und gibt – ein Ergebnis der Studie und vor allem des Essays. Dank der Ergebnisse der historischen Studie können wir als Verband auch sachlich Stellung beziehen und als ideelle Nachfahren der damaligen biodynamischen Protagonisten unsere Verantwortung ernst nehmen: Daher distanzieren uns von der Kollaboration einiger Biodynamiker, von deren Mitwirken in den landwirtschaftlichen Anstalten der SS in Konzentrationslagern. Wir verurteilen zudem die versuchte Anbiederung mit Größen des NS-Systems und den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus dem biodynamischen Reichsverband.
AG: Die Arbeit von drei Forschenden über drei Jahre taugt nicht für oberflächliche Urteile. Die Debatte ist komplex und die Sachlage sehr ambivalent. Insofern gilt das Buch und gilt der Essay. Die Zusammenfassung im Buch gibt einen hervorragenden Überblick und der Essay ist sehr gut zu lesen – unbedingt empfehlenswert! Wer sich schnell einen Eindruck verschaffen will, kann das über die Rezensionen in der Presse (z. B. im blog: info3-verlag.de), einem Interview mit den Forscher:innen in Lebendige Erde 6/23 (auch auf lebendigeerde.de) tun. Außerdem sind Workshops an der Uni Kassel/Witzenhausen, in Stuttgart und in Dornach im Rahmen der Landwirtschaftlichen Tagung geplant.
UH: Dr. Jens Ebert, einer der drei Forscher, sagte dazu, dass sie so viele Archive besucht und Quellen gesichtet haben, dass zum Thema biodynamische Landwirtschaft und Nationalsozialismus nichts grundsätzlich Neues mehr zu finden sein wird. Vielleicht könnte man noch stärker den Biographien einzelner Biodynamiker:innen nachgehen, aber das wäre dann ein anderer Focus. Und, was die Studie nur ansatzweise streift, ist die Frage, wie sich die Bewegung nach 1945 neu formiert hat und ob und wie sie dabei mit ihrer jüngsten Vergangenheit umgegangen ist. Zum ständigen Vorwurf an die Anthroposophie und an Demeter, sie hätten rassistische Wurzeln – zu welchem Ergebnis kommt denn der philosophische Essay bezüglich Steiners Ideen und Aktivitäten?
AG: Prof. da Veiga diskutiert hier die Idee der menschlichen Würde im Zusammenhang mit der Idee, universeller Menschenrechte. Auf dieser Grundlage prüft er Rudolf Steiners Denken: Dessen zentrale Ideen widersprechen Konzepten, die auf biologistische oder ethnische Identitäten bauen, eindeutig. Die sehr wenigen, nicht akzeptablen Äußerungen im mündlichen Werk Steiners solle man in ihrem Verhältnis zu seinen Grundaussagen und Intentionen gewichten.