Zukunft gestalten

Verwandeln durch Handeln

Wie können Alt und Jung gemeinsam die Zukunft gestalten? Gibt es dafür alltagstaugliche Konzepte? Um diesen Fragen nachzugehen, war ich beim anthroposophischen Kongress „Soziale Zukunft“ in Bochum. Mich interessierte, wie junge Menschen ihre Zukunft gestalten können. Ganz praktisch und konkret im Alltag.

Helmut Wolman (links) mit seinem Kollegen Stefan Wurster von den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners (Bild: Katrin Bader)

Von Katrin Bader

Was gibt es in diesem Fall besseres, als einen jungen Menschen auf dem Kongress zu treffen, der selbst aktiv ist und an der Gestaltung unserer Gesellschaft arbeitet: Helmut Wolman. Er leitete mit seinen Kollegen Stefan und Georg die Zukunftsschmiede „Soziale Zukunft – Wie wollen junge Erwachsene sie gestalten?“ Zukunftsschmiede klingt genau nach dem, was ich suchte. Zum Workshop-Auftakt kamen – neben einigen jungen – viele ältere Menschen. Interessiert sie die Zukunft also mehr als die Jungen? In gemischten Grüppchen versammelten wir uns an Stehtischen und malten das Idealbild unserer Zukunft. Mit Wachsmalstiften auf die Papiertischdecken, ohne miteinander zu reden, niemand kannte sich. Die anfängliche Unsicherheit verflog, als das „Redeverbot“ aufgehoben wurde und alle von Tisch zu Tisch strömten, die Kunstwerke betrachteten und mit eigenen Formen und Farben ergänzten.

Sollen die Jungen rebellischer werden?

Auffällig war, dass ausnahmslos alle Bilder von Naturszenen geprägt waren. Niemand zeichnete eine graue Stadtlandschaft, in der Autos und Wolkenkratzer dominierten. Das gemalte Bild der idealen Zukunft scheint also ein Leben im Einklang mit der Natur zu beinhalten. Ein reger Austausch zwischen Jung und Alt entstand. In der Zukunftsschmiede wurde eines ziemlich schnell klar: Räume schaffen und Gelegenheiten geben, dass sich Jung und Alt begegnen können, ist entscheidend. Wenn sich Jung und Alt austauschen, können Bedürfnisse kommuniziert, Ratschläge gegeben und das Gegenüber wieder als Mensch mit Wünschen und Zielen, nicht nur als Objekt, wahrgenommen werden. Was einfach klingt, ist es im Alltag aber oft nicht. in der Zukunftsschmiede wurde der Austausch miteinander zum zentralen Element.

Da finden „die Alten“ zum Beispiel, dass „die Jungen“ wieder rebellischer und politischer sein sollen, Verantwortung übernehmen und sich was trauen. Sie wollen im wahrsten Sinne mit Rat und Tat den Jungen beiseite stehen und ihre Lebenserfahrung weitergeben. Wichtig für „die Jungen“ ist, dass es flexible Arbeitsstrukturen gibt und die Alten Verständnis für ihre Lebenswelt aufbringen. Ein Vollzeit-Job ist für viele undenkbar, Teilzeit-Modelle hingegen sehr beliebt. Beide Parteien wünschen sich im Beruf mehr Austausch zwischen Kollegen, um voneinander zu lernen und sich als Mensch zu begegnen. Jugendlicher Tatendrang mit Lebensweisheit verknüpft – vielleicht ist das ein Erfolgsrezept?

Flexible Strukturen erwünscht

Durch die Teilnahme am Kongress wurde mir klar, dass eben solche Veranstaltungen und Methoden wie die Zukunftsschmiede, Gesprächsrunden oder World Cafés bereits gelebte Veränderung sind. Fernab von Mails, Meetings oder Telefondienst bewusst im Miteinander sein. Da sprudelte eine Energie, die von gegenseitigem Interesse, Neugier und Verständnis geprägt war. Daraus schöpften viele unmittelbar Inspiration und Mut, langaufgeschobene Ideen in die Tat umzusetzen. Und welche Relevanz hat das für die Landwirtschaft? Sie  befindet sich im Wandel und wird modernen Ideen, Ansprüchen und Lebensstilen angepasst. So setzen viele – vor allem biodynamische – Höfe, als Lebens- und Arbeitsgemeinschaft organisiert, ein gewisses Idealbild bereits erfolgreich seit Jahrzehnten in die Tat um: Jung und Alt wirken gemeinsam und gestalten die Zukunft ihres Hofes. Arbeit und Verantwortung sind auf mehrere Schultern verteilt. Das frühere Berufsbild des Bauern, der allein sein Feld und Stall bewirtschaftet und nie einen freien Tag hat, entspricht nicht mehr dem Anspruch heutiger Generationen. Alternative Organisationsstrukturen wie Solidarische Landwirtschaft, in denen eine Gruppe von Konsument*innen für die finanzielle Absicherung sorgt, ist ebenfalls ein Erfolgskonzept.

Interview mit Helmut Wolman

Wie veränderst du die Zukunft?

Meine Aufgabe bei den Freunden der Erziehungskunst ist es, mit Schülern Räume zu schaffen, wo die Welt und die sozialen Fragen erlebbar werden. Das kann natürlich nach der Schule ein Freiwilligendienst sein, wovon wir ja viel berichten, aber wichtig ist vor allem, diese Räume schon während der Schulzeit durch lebendigen Sozialkundeunterricht, Workshops, Projekttage und bald auch Schülerfirmen zu schaffen. Möglichkeiten für die Schüler, ihr volles Potential anhand unserer globalen Welt zu entfalten. Meine Aufgabe besteht darin, ehemalige Freiwillige und Schüler zusammen zu bringen und Formate zu entwickeln, wo die Erfahrungen der Ehemaligen für Schüler verfügbar werden.

Was hat das mit Zukunft zu tun?

Seit es den Zivildienst nicht mehr gibt, fühlen sich viele junge Menschen gedrängt, direkt nach dem Abitur ein Studium zu beginnen, mit 17 teilweise. Ihnen fehlt unserer Ansicht nach ein Orientierungsjahr dazwischen. Wenn sie die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und Selbstbewusstsein sowie Selbstvertrauen aufbauen zu können, sind sie eher in der Lage, Entscheidungen zu treffen, um so ihren Lebensweg bewusst zu gestalten. Wir wollen mit ihnen herausfinden, welche Tätigkeit für sie nach der Schule sinnvoll sein kann. Also schauen: was möchten sie erreichen und wie kommen sie dahin, was brauchen sie dazu?

Und wie kommt ihr an die jungen Menschen ran?

Wir, also ehemalige Freiwillige, sind mit der Zukunftsblick Bulli-Tour meist in den Oberstufen unterwegs, geben Erfahrungsberichte von Freiwilligendiensten weiter und bieten verschiedene Workshops an. Da werden entwicklungspolitische und soziale Fragestellungen bearbeitet. So machen wir auf bestehende Probleme aufmerksam, wie etwa die Regenwaldabholzung, stärken das Empfinden dafür und regen Veränderungen an. Außerdem führen wir Zukunftsworkshops zur eigenen Berufung oder Young Leadership-Projekte mit den Jugendlichen durch.

Was bringt ein Freiwilligendienst?

Die Teilnehmer lernen andere Kulturen und Lebensumstände kennen. Das fördert Verständnis und Empathie für andere Menschen. Im Freiwilligendienst haben sie die Möglichkeit, an verantwortungsvolle Aufgaben herangeführt zu werden und ihren Teil zur Lösung eines Problems beizutragen. Sie lernen auch, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten und in Gruppen gemeinsame Lösungen zu finden.

Was möchtet ihr den Jungen und Alten mit auf den Weg geben?

Puuh, so vieles (lacht). Wichtig ist, dass junge Menschen den Mut haben, Dinge zu starten, eine Idee in die Tat umsetzen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Dafür brauchen sie die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Selbstvertrauen zu entwickeln. Das braucht Zeit und Spielraum, Platz für Austausch, andere Menschen treffen um voneinander zu lernen. Also seid mutig, geht aufeinander zu und redet miteinander!

Die „Alten“ können unterstützend wirken, indem sie sich inspiriert fühlen, selbst aktiv zu werden und als gutes Vorbild voranzugehen. Sie können in ihrem Unternehmen Freiraum für Austausch unter den Kollegen bieten. Oder ihre Kinder anregen, eigene Wünsche und Ideale zu verfolgen und auszutesten. An Herausforderungen wächst man ja bekanntermaßen, also traut den Jungen was zu – und ihr Jungen: nehmt die Herausforderung an!

Die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. begleiten seit 1993 junge Menschen bei ihrem freiwilligen Jahr. Als eine der größten deutschen Trägerorganisationen für Freiwilligendienste bietet der Verein Engagement-Möglichkeiten in Deutschland, im Ausland und für internationale Freiwillige aus dem Ausland in Deutschland.

Mehr Infos unter http://freunde-waldorf.de/zukunftsblick