Herr Mück, ist es denn überhaupt so tragisch, wenn die Kuh keine Hörner mehr hat?
Ulrich Mück: Wenn die hörnertragende Kuh ausstirbt, ist das für uns Menschen erst einmal ein Verlust an biologischer, aber auch an kultureller Vielfalt. Die Kulturgeschichte des Menschen ist geprägt von horntragenden Rindern. Zudem sind Hornkühe einfach schöner, wenn ich das so persönlich einmal sagen darf. Die genetische Erosion wäre zudem sehr bedenklich, denn die Auswirkungen sind überhaupt nicht absehbar.
Besonders wichtig sollte aber sein, dass für die Kuh als Wesen so wie sie in der Natur aufgetreten ist, die Hörner eine wichtige Rolle spielen. Davon sind auch viele Demeter-Bäuerinnen und Bauern überzeugt. Und das bestätigen auch Verhaltensforscher. Sie haben herausgefunden, dass die Hörner der Kuh eine wichtige Rolle bei der Kommunikation in der Herde spielen. Kühe sehen eher schemenhaft und erkennen die freundliche oder drohende Kopfhaltung ihrer Kolleginnen besser, wenn der Kopf durch die Hörner an Kontur gewinnt. Einige Erfahrungsberichte deuten darauf hin, dass Hörner womöglich dabei helfen können, Wölfe abzuwehren – dies könnte in Mitteleuropa bei der Weidehaltung wieder zunehmend eine Rolle spielen.
Weitere mögliche Funktionen der Hörner, zum Beispiel bei der Wärmeregulation oder im Verdauungsgeschehen, sind bisher erst anfänglich erforscht. Klar ist jedoch, dass das Horn ein voll entwickeltes und gut durchblutetes eigenes Organ der Rinder ist. Bis weit in seine Spitzen strömt das Blut und Luft und Verdauungsgase. Was gibt uns das Recht, dieses einfach wegzubrennen oder wegzuzüchten?
Das Enthornen der Kühe und die moderne Hornloszucht begann, als die Anbindeställe nach und nach durch Laufställe ersetzt wurden – die Kuh konnte sich im Stall bewegen, und dadurch wuchs die Verletzungsgefahr durch Hörner. Ist es nicht schlicht zu gefährlich, Kühen die Hörner zu lassen?
Hauptursache der Enthornung und Hornloszucht war, dass den Kühen viel zu wenig Platz gegeben wurde. Sogenannte „Laufställe“ waren in den 80iger Jahren ungeheuer eng. Die Tiere konnten ihr arteigenes Herdenverhalten nicht ausüben und reagierten aggressiv. Folge war, dass die Stallbauberatung allen Bauern empfahl, die Laufställe bauten, ihre Kühe zu enthornen. Es wurde nicht gefragt, wie Ställe gebaut werden müssten, um horntragende Kühe halten zu können.
Heute ist das weitgehend bekannt und man weiß, dass Kühe in der Herde einen Raumanspruch um sich brauchen – man nennt das Individualdistanz –, damit die Rangordnung nicht laufend neu ausgefochten werden muss. Die Erfahrungen vieler Demeter-Milchviehhalter zeigen, dass mit entsprechender Mensch-Tier-Beziehung und Achtsamkeit im Umgang horntragende Kühe auch nicht gefährlicher sind als andere Tiere in der Tierhaltung.
Wesentliche Einflussfaktoren auf eine ruhige Herde sind bei der Haltung horntragender Kühe ein kluges Herdenmanagement, eine gute Mensch-Tier-Beziehung mit Respekt und Vertrauen, sowie artgerechte Haltungsbedingungen und Stalleinrichtungen. Unser Projekt „Hörner im Laufstall“ hat gezeigt, dass die Haltung von horntragenden Kühen im Laufstall sehr gut möglich ist. Um Auseinandersetzungen zwischen den Tieren und Unfallgefahren für die Menschen zu minimieren, ist ein gutes Verständnis von Herde und Herdenverhalten nötig. Rangeleien um das Futter können durch möglichst häufige Futtervorlage oder hörnergeeignete Fressgitter vermieden werden. Auch bei geringerer Kraftfuttergabe treten weniger Auseinandersetzungen auf. Behornte Tiere brauchen natürlich auch ausreichend Platz. Grundsätzlich gilt es, die Haltungsbedingungen den Bedürfnissen der Tiere anzupassen – und nicht die Tiere den Haltungsbedingungen. Enthornung und genetische Hornlosigkeit folgen leider dem letzteren Ansatz. Bauliche Schwächen in bestehenden Ställen können durch Herdenführung sogar teilweise ausgeglichen werden, wenn die Betriebsleitung einen aufmerksamen Blick für die Herde und den Charakter der Einzeltiere hat.
Also ist die Haltung hörnertragender Milchkühe möglich, aber etwas aufwendiger und womöglich teurer. Artenschutz ist ein Thema für Naturschutzbehörden – wer kümmert sich um die Erhaltung hörnertragender Rinder?
Zurzeit gibt es keine staatlichen Fördermittel für die Erhaltung hörnertragender Rinder. Wir bei Demeter wollen aber horntragende Rinder erhalten. Wir bieten Betrieben dafür Beratung zur Haltung und zum Stallbau für horntragende Milchkühe an.
Der Demeter-Verband hat als einziger Ökoverband ein klares Bekenntnis zu hörnertragenden Kühen abgegeben. Demeter hat 2014 in den Verbandsrichtlinien festgelegt, dass nicht nur Enthornung, sondern, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch die Haltung genetisch hornloser Tiere auf Demeter-Höfen unterbunden wird.
Auch im Bereich der Züchtung wird gearbeitet. Entgegen der raschen Ausbreitung der Hornloszucht muss das Vorkommen in verschiedenen Rassen erhalten, aber durchaus auch züchterisch bearbeitet und weiterentwickelt werden. Es geht um die Zucht langlebiger, robuster und für den Ökolandbau geeigneter, vitaler Milchkühe mit Hörnern. Dabei sind an erster Stelle die Bäuerinnen und Bauern wichtig, viele engagieren sich hier aktiv. Rinderzüchtung findet zu weiten Teilen auf den Höfen statt.
Dabei arbeiten wir gerne mit Partnern zusammen, um die Erhaltung horntragender Kühe zu erreichen. Das Forschungsprojekt „Hörner im Laufstall“ hat in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel sowie den Verbänden Bioland und Demeter stattgefunden – also auch in Forschung und anderen Verbänden gibt es Interesse.
Eine zentrale Rolle spielen letztendlich aber die Verbraucherinnen und Verbraucher. Nur wenn sie Produkte von hörnertragenden Rindern nachfragen und bereit sind, für deren Erhalt wenige Cent mehr pro Liter Milch zu bezahlen, dann können die Höfe, die auf hörnertragende Rinder setzen, wirtschaftlich überleben und diese Arbeit weiterführen.