Gelebte Gemeinschaft

© Tobias Wilhelmi

Ein Dorf, das zusammenhält, und so 150 Menschen ein geborgenes Zuhause bietet: Der fränkische Münzinghof zeigt, wie Inklusion funktionieren kann. Hier leben und arbeiten die unterschiedlichsten Menschen gemeinsam, mit und ohne Behinderung.

Der Münzinghof

Wie kann Inklusion gelebt werden? Die anthroposophisch geprägte Lebensgemeinschaft Münzinghof macht es seit 40 Jahren vor: 150 Einwohner, rund die Hälfte mit Betreuungsbedarf wohnen hier mit verschiedenen Wahlfamilien zusammen in mehreren Häusern. Zum Grünen Bereich des Demeter-Hofes gehören Landwirtschaft, Käserei, Bäckerei und Gärtnerei.

Was ist das: ein Dorf? Und was macht eine Familie aus? Im Naturpark Fränkische Schweiz bei Velden, hinter einem großen Waldstück, liegt der Münzinghof: ein ganz normales Dorf und ein ganz besonderer Ort zugleich. Hier werden Menschen mit Behinderungen genauso in das Dorfleben eingebunden wie Menschen ohne. 150 Dorfbewohner*innen wohnen und arbeiten hier gemeinsam: Frauen, Männer, Junge, Alte und viele Kinder teilen ihren Alltag und leben in großen und kleinen Wahlfamilien zusammen.

Keine Schichten, sondern Alltag

„Der Münzinghof gibt vielen Menschen ein Zuhause. Als ich 2003 für ein Praktikum hierherkam, habe ich dieses besondere Zusammengehörigkeitsgefühl gleich gespürt“, erzählt Nils Lubenau, der auf dem Münzinghof im Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit aktiv und für den Wohnbereich verantwortlich ist. Damals verliebte er sich in seine heutige Frau, die hier 1979 als eines der ersten Hofkinder geboren wurde und in dieser Gemeinschaft aufgewachsen ist. Mit ihren beiden Kindern lebten sie einige Jahre in der Lebensgemeinschaft auf dem Hof.

Es ist in gewisser Weise eine Utopie, die hier ganz real gelebt wird: Die Wohngemeinschaften im Münzinghof sind keine Heimflure, welche Pfleger und Mitarbeiter nach ihrer Acht-Stunden-Schicht wieder verlassen. Die Devise lautet vielmehr: Nichts Stationäres, nichts Ambulantes, sondern eine Lebensgemeinschaft, großfamilienähnlich organisiert. „Klar, manchmal braucht jemand Zeit für sich – dann kann man sich zurückziehen oder etwas alleine unternehmen. Für die Begleiter in den Werkstätten und in den Familien verschmelzen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem – und das ist so gewünscht. Auch für die Menschen mit Assistenzbedarf gilt: Sie bekommen Unterstützung und Gesellschaft, können aber auch für sich sein, wenn sie das Bedürfnis dazu haben. Wie das eben in einer Großfamilie so läuft“, erzählt der 45-jährige Lubenau.

Neue Ideen und Inspiration

Die Lebens- und Wohngemeinschaften sind darauf ausgelegt, dass die zu betreuenden Menschen zeitlich unbegrenzt hier leben können. Bei den Begleitern ist das unterschiedlich, manche Hausverantwortlichen mit ihren Kindern bleiben auch „für immer“ – je nach individueller Lebensplanung. Inspiration und neue Impulse gehen dabei auch von den vielen jungen Menschen aus, die auf dem Münzinghof leben und arbeiten: „Wir haben eine größere Gruppe von jungen Erwachsenen, die hier ein Praktikum, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder aber auch eine Ausbildung im landwirtschaftlichen oder sozialen Bereich machen. Im Moment sind es um die 30, die auf dem Münzinghof nicht nur viel lernen, sondern auch viel Spaß haben und uns alle mit ihrer Begeisterung anstecken“, so Nils Lubenau. Da wird dann kurzerhand an einem heißen Sommertag mit einer Folie zwischen den Strohballen ein kleiner Pool zur Abkühlung gebaut. Oder gemeinsam ein Ausflug ins Schwimmbad geplant, dem sich jeder anschließen kann, der Lust darauf hat. Auch gibt es an warmen Sommerabenden regelmäßig Grill- und Lagerfeuer, bei denen viele kleine oder auch größere Gruppen zusammenkommen zum Essen, Erzählen, Musik machen: „Die Gemeinschaft hier ist einfach nur schön.“

Engagierte gesucht!

Es werden immer Menschen gesucht, die Lust haben, ein Praktikum, ihren Bundesfreiwilligendienst (BFD) oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) auf dem Münzinghof zu verbringen/leisten.

Gemeinsames Schaffen

80 Menschen mit Behinderungen sind in den verschiedenen Werkstätten und Dorfbetrieben beschäftigt: in der Käserei, der Bäckerei, der Holz- und Metallwerkstatt, in der Dorfmeisterei und in der Taschen- und Kerzenwerkstatt. 16 davon arbeiten in der Demeter-Gärtnerei und in der Demeter-Landwirtschaft mit. Auf dem Münzinghof werden Möbel und Küchen aus Holz, Treppengeländer und Feuertreppen aus Metall, aber auch Lebensmittel wie Brot und Molkereiprodukte hergestellt. In den Werkstätten und in einem befreundeten Dorfladen mit angeschlossenem Café namens „Vogelbeere“ werden Hofprodukte verkauft: Getreide, Backwaren, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch. In allen Gewerken arbeiten Auszubildende, Gesell*innen, Meister*innen und Menschen mit Hilfebedarf Hand in Hand. Vor allem durch den Arbeitsalltag in den Werkstätten und die gute Vernetzung mit der unmittelbaren Region – Handelspartner und auch die Kollegen, die aus anderen Ortschaften auf den Münzinghof zur Arbeit kommen – entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl, das Identität schafft. „Und ein Gefühl von Heimat.“

Ein sozialer Organismus

Maike Westermann, 24, mit Ralf Hammerla, 50 (Bild: Frank Boxler)

Auszubildende Maike Westermann über die Freie Ausbildung im biologisch-dynamischen Landbau:

„Ich arbeite in der Gärtnerei am Münzinghof und mache dort meine Freie Ausbildung im biologisch-dynamischen Landbau. Dabei wohne ich mit in der Lebensgemeinschaft und wirke dadurch im ganz normalen Dorfalltag mit. In meiner Ausbildung lerne ich einen ganzheitlichen Blick auf die Gärtnerei. Ich lerne den Boden, die Pflanzen, die Luft, die Tiere und die Menschen als großen, individuellen Organismus zu verstehen. Anstelle des Besuches einer Berufsschule besuche ich einmal im Monat einen Betrieb, zusammen mit meiner Ausbildungsgruppe. Dort vertiefen wir unsere Kenntnisse in Landwirtschaft und Gartenbau. Insgesamt sind wir 25 ganz verschiedene Menschen zwischen 18 und 45 Jahren. Am meisten lerne ich vom Garten selbst – nämlich, dass dieser kein industrieller Betrieb ist, sondern ein lebendiger Organismus, der in Wechselwirkung mit allem steht: Der Gesundheit der Tiere, der Beschaffenheit des Bodens und den sozialen Strukturen wie hier am Münzinghof. Meine Aufgabe besteht nicht darin, möglichst viel aus meinen Pflanzen herauszuholen, sondern dass ich auf eine gute Qualität achte, die mehr als nur guten Geschmack bedeutet.

Die besondere Lebensgemeinschaft spielt hierbei ein große Rolle: Anders als auf den Höfen meiner Mitlehrlinge kann ich noch direkter erfahren, was es bedeutet, in einem noch größerem Kreislauf zu leben, als „nur“ in einem Hoforganismus. Durch die verschiedenen Werkstätten und Wohnhäuser ist ein direkter Bezug von Sozialem und Arbeit erkennbar. Wenn wir abends zusammen beim Abendbrot sitzen, kann ich sehen, was jeder von uns beiträgt.“