Wir brechen auf!

Sie sind Arbeitgeber wie -nehmer, dabei ebenso noch Dienstleister, Unternehmer, Naturschützer, Organisationstalent, Bürokraft, Verkäufer, Handwerker, Elternteil, Partner –und das alles in nur einer Person. Sie wissen: Landwirt oder Landwirtin zu sein, bedeutet harte Arbeit, oft an sieben Tagen die Woche. Wir haben mit jungen Ökolandwirt*innen gesprochen, die einen Betrieb übernehmen oder gründen.

Von Sarah Heller

Familie Meßing: „Wir wurden als Familie offen und herzlich willkommen geheißen und bekamen Zeit, uns einzuleben.“
Noch ist es nicht soweit, doch die Entscheidung für die Hofübernahme in Seelbach bei Marburg steht fest: Familie Meßing übernimmt den Krebsbachhof, der seit 30 Jahren auf den Anbau von Heil- und Gewürzkräutern spezialisiert ist. Zusätzlich wird Getreideanbau und Saatgutvermehrung betrieben. Auch die Mutterkuhherde mit Fleischdirektvermarktung ist ein ganz wesentlicher Teil des biodynamischen Betriebs.

„Hier wollen wir leben!“

Bild: Jan Bosch

Karl Meßing zog mit seiner Frau und den vier Kindern 2014 in das Gladenbacher Bergland. Seither arbeitet der 30-Jährige als angestellter Landwirt auf dem Krebsbachhof der Familie Heuner. Nach seinem Ökolandbau-Studium hat Karl deutschlandweit nach Höfen gesucht und mit dem Krebsbachhof den richtigen gefunden. Zunächst als Angestellter am Hof zu arbeiten, war wie eine beidseitige Probezeit: „Wir wurden als Familie offen und herzlich willkommen geheißen und bekamen Zeit, uns einzuleben. So konnten wir Hof und Gegend erst mal kennenlernen. Heute wissen wir: Hier fühlen wir uns wohl – hier wollen wir leben.“ Die Übergabe soll als Prozess über fünf Jahre so gestaltet sein, dass Verantwortungsbereiche nach und nach übernommen werden. „Ich finde es gut, dass Doris und Peter Heuner noch lange dabei sind – so profitieren wir von ihren Erfahrungen und ihrem Wissen, und sie können sich wiederum ihren Vorstellungen entsprechend langsam aus dem Betrieb zurückziehen.“ Der Kurs „Existenzgründung & Unternehmensentwicklung“ der Demeter Akademie hat ihm für den Übernahmeprozess wichtige Impulse gegeben: „Was mir am meisten geholfen hat, war der Austausch mit den anderen Teilnehmern – der hat mich wirklich inspiriert und ermutigt. Eine so wichtige Zeit miteinander zu erleben und mit Menschen zu reden, die in ähnlichen Situationen mit ähnlichen Fragestellungen sind: Das ist viel wert!“ Eine wichtige Erkenntnis für ihn: „Jede Übernahme ist einzigartig. Daher gibt es auch nicht das eine Konzept, das man in die Hand bekommt und abarbeitet wie eine To-do-Liste. So eine Entscheidung erfordert individuelle Reflexion und Antworten.“

Austausch ist Karl Meßing dabei besonders wichtig: In der Familie und genauso auch bei der Hofübernahme. „Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass es wichtig ist, immer wieder das Gespräch zu suchen und sich auszutauschen. Nur so bleiben wir miteinander im Prozess und arbeiten gemeinsam daran, unsere Ziele zu erreichen.“ Karl möchte das Hoferbe mit seiner Tradition antreten und den Krebsbachhof so weiterführen, dass er auch in der nächsten Generation zukunftsfähig ist. „Dabei wirft man nicht alles über den Haufen, sondern würdigt auch das Lebenswerk der Vorbesitzer und trägt es in die Zukunft.“

Seine Vision ist dabei so ehrlich wie einfach: „Ich möchte für uns als Familie einen lebenswerten Raum schaffen, indem ich im Einklang von Natur und Mensch biodynamische Produkte erzeuge.“ Das will er mit der Vielseitigkeit des Hofes erreichen – „Die weiß ich wirklich zu schätzen.“ Ob er Dinge anders machen wird als sein Vorgänger? „Ich habe gehört, jeder drückt dem Hof ja seinen eigenen Stempel auf“, lacht der Familienvater und freut sich auf das, was kommt.

Anne-Christin Trautwein: „... da kam dann auf einmal der Augenblick, in dem ich felsenfest überzeugt war: Das will ich wirklich!“ (Bild: Foto-Deimling)

Anne-Christin Trautwein ist bereits 2011 in den Familienbetrieb eingestiegen – eine langsame Übernahme des Weinguts war von Anfang an geplant. Dieser Schritt steht nun an: Ab Sommer ist sie die „Chefin“ des Weinguts und trägt zusammen mit ihrem Mann die Verantwortung für den traditionsreichen Familienbetrieb. Was diese Entscheidung für ihr tägliches Leben bedeutet, weiß sie ganz genau – schließlich ist sie auf dem Weingut am Kaiserstuhl aufgewachsen. Gezögert hat sie trotzdem einmal: „Während des Weinbau- und Önologiestudiums habe ich zwei Semester Psychologie belegt“, schmunzelt die 31-Jährige. Bei den zwei Semestern ist es jedoch geblieben – Anne-Christin hat schnell gemerkt, dass sie die Selbstständigkeit im Weingut und die Arbeit mit der Natur viel zu sehr vermisst. „Zum Glück habe ich mir dieses Jahr genommen. Denn da kam dann auf einmal der Augenblick, in dem ich felsenfest überzeugt war: Das will ich wirklich!“

Was sie antreibt? „Vor allem selbstbestimmtes Handeln in Verbindung mit der Natur! Für mich ist es wichtig, sie gesund und lebendig zu erhalten.“ Ist der Druck nicht groß, einen Traditionsbetrieb zu führen? „Viele Unsicherheiten habe ich durch den Existenzgründer-Kurs bei der Demeter Akademie verloren. Natürlich gehe ich mit Respekt an die Aufgabe heran, aber das gehört dazu. Die symbolische Schlüsselübergabe ist am 30. Juni 2018 – ab dann bin ich die Verantwortliche“, freut sich Anne-Christin.

www.trautweingut.com

Die Idee war gefunden: Feines aus Grünem in liebevoller Handarbeit selbst herzustellen – etwa ganzblättrige Kräutertees, Senfe, Salze, Smoothies, Würzpasten und Essige. (Bild: YVA)

Quereinsteiger mit Mut und Leidenschaft

Für René Esser (40) hat alles mit einer Auszeit auf einem Bergbauernhof in Südtirol begonnen. Nachdem er jahrelang für Menschen mit körperlichen Einschränkungen Sorge getragen hat, entschied er sich 2014, das auch verstärkt für sich selbst zu tun. Seine bereits schlummernde Kräuterliebe wurde in Südtirol wieder erweckt und so hat er sich mit seiner Partnerin Heike Karl (40) nach seiner Rückkehr selbstständig gemacht, ohne Hof und ohne Ausbildung. „Bis das Konzept stand, Kräuter stadtnah unter Glas zu erzeugen, war es ein langer Weg“, erklärt René.

„Gutes für alle Sinne“

Die Passion der beiden: „Wir nutzen die kosmischen Kräfte und versehen die Kräuter mit guter Energie. Unter unserer Marke ‚Kräuterkind‘ stellen wir Feines aus Grünem in liebevoller Handarbeit selbst her.“

Zu Hause ist das „Kräuterkind“ in einem 1 600 m² großen gepachteten Gewächshaus in Hürth bei Köln, das zugleich auch Verkaufs- und Begegnungsstätte ist. „In Zukunft finden hier regelmäßig Workshops, Lesungen und Seminare statt“, beschreibt René die Pläne der beiden. „Unsere Vision: Wir wünschen uns, dass die biologisch-dynamische Landwirtschaft auch in der Stadt erfahrbar wird. Dabei wollen wir altes Wissen über Heil- und Gewürzpflanzen wieder ins Bewusstsein der Menschen rücken. Die Sinne spielen eine große Rolle“, erklärt René, der eine Ausbildung zum Kräuterpädagogen abgeschlossen hat. Ein wichtiges Etappenziel für ihn daher: die Eröffnung eines Schauund Lehrgartens. Als soziales Projekt steht es bald Schülerinnen und Schülern offen. Das Besondere an „Kräuterkind“? „Wir bieten nicht die allbekannten Topfkräuter an. Wir pflanzen mehrjährige und winterharte Kulturen in den offenen Boden unter Glas, ernten ohne Maschineneinsatz selbst und fertigen daraus in Handarbeit eigene Produkte. Wir stellen ‚Gutes aus Gutem‘ her, zum Beispiel ganzblättrige Kräutertees, Senfe, Salze, Würzpasten und Essige“, erklärt Heike die Palette. Die Wünsche für die Zukunft? „Um den Absatz besser kalkulieren zu können, möchten wir auch Vertragsanbau für Gastronomie, Hofläden oder Weiterverarbeiter anbieten.“ Bei allem Enthusiasmus für ihr „Kräuterkind“ haben Heike und René inzwischen aber auch gelernt, dass es wichtig ist, Pausen zu machen, durchzuatmen und innezuhalten.

www.kraeuterkind.de

Till Paulick: „Ich möchte den Hermannshof mit seiner Mutterkuhherde und dem Feldgemüseanbau noch weiter verbessern.“ (Bild: Simone Helmle)

„Der Bauer zu Besuch in der Hölle“ – das sind zum Glück nicht die Worte von Till Paulick, sondern der Titel eines der Theaterstücke, die im hofeigenen Puppentheater gespielt werden. Acker und Hof wurden bereits im September letzten Jahres an Till übergeben, doch die Bühne bespielen die ehemaligen Eigentümer Antje und Johann Karl König auch weiterhin. Till hat sich den Hermannshof in Wümme, der zwischen Hamburg und Bremen am Rande der Lüneburger Heide liegt, ganz bewusst ausgesucht. „Er passt genau zu mir und zu dem, was ich will!“ Der 34-jährige Landwirt arbeitet bereits seit drei Jahren in dem Gemischtbetrieb mit – daher kam die Übernahme nicht plötzlich, sondern war gut durchdacht und sorgfältig vorbereitet.

„Jetzt gibt’s hier Lehrlinge“

Der Kurs „Existenzgründung und Unternehmensentwicklung“ kam für Till genau im rechten Moment. Kurz vor Seminarende hat er den Hof nun übernommen. „Jetzt geht es ans Feintuning“, freut sich Till, „ich möchte den Hermannshof mit seiner Mutterkuhherde und dem Feldgemüseanbau noch weiter verbessern. Eine große Veränderung habe ich bereits eingeführt: Jetzt gibt es hier zwei Lehrlinge – zum ersten Mal in der Geschichte des Hofes.“ Und sonst? Till ist offen – für vieles. Zurzeit denkt er darüber nach, mehr Tiere zu halten.

www.hermannshoftheater.de

Öko aus voller Überzeugung

„Wir haben zum Glück früh genug angefangen, die Hofübernahme zu planen“, erzählt der 29-jährige Tim Keller. Schon heute lebt er mit seiner Freundin einen Teil seiner Visionen, die er für den Biobauernhof Konradsdorf in Ortenberg bei Frankfurt am Main hat: Sie betreiben seit 1,5 Jahren den Hofladen „Kleeblatt“ auf der Domäne, die sein Vater pachtet. „Ich freue mich besonders, wenn hofeigene Produkte wie Rindfleisch, Eier, Getreide und Nudeln über die Ladentheke wandern.“ Tim hat viele Pläne für die Zukunft. „Vor allem möchte ich den Ökolandbau an dieser Hofstelle weiter ausbauen.“ Inzwischen hat er zusätzlich ein Hofcafé eröffnet – und ein „Hühnerhotel“. Das ist ein ganz besonderer Stall, der den Hühnern nur als Nachtquartier und Futterplatz dient. „Ansonsten sind unsere Hühner immer draußen. Wenn die Weidefläche abgegrast ist, fährt der Stall samt den Hühnern einfach weiter“, erklärt Tim.

Immer im Blick hat er „das, was heute Nachhaltigkeit genannt wird. So bekommt die Bodenfruchtbarkeit auf unseren Feldern meine ganz besondere Aufmerksamkeit.“ Eine weitere Herausforderung ist für ihn der Althof mit seinen historischen Gebäuden – um diese optimal zu nutzen, arbeitet er an einem neuen Konzept. Wenn es darum geht, solche Probleme zu meistern, hat er gelernt, sich selbst zu vertrauen: „Das Existenzgründer-Seminar hat mich darin bestärkt, auf das zu hören, was ich aus Überzeugung will. Den eigenen Weg zu finden und nicht einfach den zu gehen, der vorgegeben ist – auch wenn das nicht immer so einfach ist.“

www.hofladenkleeblatt.de

Praktische Hilfestellung

Der Kurs „Existenzgründung & Unternehmensentwicklung“ unterstützte 2017 zwölf junge Menschen im Ökolandbau in der Verarbeitung und im Handel. Auf Demeter-Höfen standen Themen wie Geschäftspläne und Unternehmensführung auf dem Programm. Simone Helmle, Leiterin der Demeter Akademie, freut sich: „Alle sind gewachsen und haben vom Austausch profitiert. Doch jetzt beginnt die eigentliche Arbeit: Die Absolventinnen und Absolventen stehen nun vor der Aufgabe, ihre Ideen umzusetzen. Ihre Ziele und die Betriebe sind dabei so vielfältig wie Demeter und der Ökolandbau selbst.“

Der Kurs ist ein Gemeinschafts-Projekt der Freien Landbauschulen Bodensee und Dottenfelderhof, BioBoden Genossenschaft, das Öko-Junglandwirte-Netzwerk und Demeter Akademie. Ermöglicht haben ihn viele Menschen und Einrichtungen, die den Kurs finanziell unterstützt haben. www.demeter.de/existenzgruendung