An Ort und Ställe

Land der Möglichkeiten

Es gibt wieder Leben auf Gut Mönchhof im Meißnervorland – in alten Gemäuern und in neu bewirtschafteten Böden. Ermöglicht haben das Catherine Cuendet und Jens Müller Cuendet, die Susanne Kiebler für das Demeter Journal besucht hat. Zwischen bewaldeten Hügeln und sanft gewellten Feldern liegt der Zauber des Neubeginns nicht nur in der Luft – sondern auch in der Erde.

Catherine Cuendet und Jens Müller Cuendet
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So viele Möglichkeiten! Das kommt mir als Erstes in den Kopf, als ich auf Gut Mönchhof bei Alberode in der Nähe von Kassel ankomme. Es ist ein schier unüberschaubares Anwesen, an dessen Eingang Esel ihre Köpfe über den Zaun recken. Große und sehr alte, zum Großteil sanierungsbedürftige Speicher und Scheunen gruppieren sich um einen weiten Platz, samt Teich und Park, dahinter eine neuklassizistische Villa und Hunderte Jahre alte Fachwerkhäuser. Der Charme des Unfertigen liegt über dem Gelände, an dem eifrig gewerkelt wird: Hammerschläge, das Dröhnen einer Kettensäge unterbrechen den Gesang der Vögel und das Gegacker der Hühner von Zeit zu Zeit.

Neues Leben in alten Mauern

Es ist gar nicht so einfach, Jens Müller Cuendet und Catherine Cuendet in der Weite des Geländes zu finden. Ich entdecke sie im ehemaligen Inspektorenhaus, das etwas abseits des Platzes liegt. Dort bewohnen sie mit ihren Kindern Salome, Pirmin und Maurus den ersten Stock. Im Treppenaufgang zu den Privaträumen steht ein Klavier. „Das war nicht ganz unbeteiligt daran, dass wir heute eine Familie sind. Denn sowohl Catherine als auch ich spielten Klavier, als wir uns in der gemeinsamen WG kennengelernt haben“, erzählt Jens. Ihre Studienzeit im nur 25 Kilometer entfernten Witzenhausen ist nun an die zwanzig Jahre her, beide studierten Landwirtschaft. Nach Stationen in der Schweiz und Süddeutschland sind sie vor drei Jahren wieder in der Region gelandet – „klingt das nicht nach Schicksal?“, fragt Jens amüsiert.

Heute führen sie das Gut gemeinsam mit Clarissa und Patrik Schubiger und leben und arbeiten hier. „Wir haben uns mit dem Gut Mönchhof einen Traum erfüllt – der allerdings auch mit viel Arbeit verbunden ist. Wir stehen nach drei Jahren noch immer am Anfang und freuen uns über Menschen, die hier mitwirken und eigene Ideen verwirklichen wollen. Platz und Raum dafür ist hier mehr als genug“, erklärt Catherine. Das Paar hat nach dem Studium und einigen Zwischenstationen, unter anderem im Schwarzwald, viele Jahre in der Schweiz verbracht: am Zürichsee, wo sie bei der „Getreidezüchtung Peter Kunz“ die ersten festen Angestellten waren. Hier wurde auch Sohn Pirmin geboren, der heute zehn ist. Catherine hat sich seither leidenschaftlich der Getreidezucht verschrieben und führt den deutschen Standort des Schweizer Züchtungsbetriebs als Geschäftsführerin – zuerst auf dem Darmstädter Hofgut Oberfeld und nun hier auf dem Mönchhof.

Der Boden zeigt, was in der Pflanze steckt.

Catherine Cuendet

Getreideähren
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Wie Neues auf den Acker kommt

Was Jens und Catherine hier wagen, ist etwas Besonderes: Catherine hat sich als Getreidezüchterin auf Dinkel spezialisiert, einige ihrer Züchtungen wurden bereits vom Bundessortenamt zugelassen. Die Arbeit von Jens beginnt, wenn die neuen Züchtungen zur Vermehrung bereit sind. Er baut die Sorten von Catherine dann an. Damit sorgen die Cuendets dafür, dass diese biodynamischen Sorten auch in der Praxis angebaut werden können. Die Saatgutvermehrung ist komplex und risikoreich – und deswegen der heikle Punkt, wenn es darum geht, die neuen Sorten auch wirklich aufs Feld und in die Fläche zu bringen.

„Die Saatgutvermehrung von Dinkel, Ackerbohne, Klee, Luzerne, Weizen, Hafer und Emmer ist sehr befriedigend. Bei der Vermehrung werden kleinere Flächen bewirtschaftet und die Feldhygiene muss besonders hoch sein. Das heißt, dass ich durch diese intensive Arbeit viel näher an den Pflanzen und dem Boden bin als bei normalem Anbau. Bestenfalls bildet man da eine Art Einheit“, beschreibt Jens seine Arbeit.

Catherine Cuendet
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Catherine möchte beim Züchten die jeweilige Pflanze und ihr Potenzial genau kennenlernen. Dafür pflanzt sie ein und dieselbe Züchtung auf verschiedenen Böden an, wo sie sich jeweils anders entfalten wird. Catherine zeigt auf eine Fläche in ihrem Zuchtgarten, wo verschiedene Dinkellinien in kleinen Parzellen nebeneinanderstehen. Die einen, weiter links, sind ausladend, buschig, daneben sind ein paar Reihen, die kerzengerade nach oben streben, kaum Raum einnehmen. Catherine zeigt auf die linken: „Beim Züchten ist es mir wichtig, dass sich die Pflanzen mit dem Boden auch wirklich verbinden, so wie diese. Bei anderen Pflanzen“ – sie zeigt auf die geraden Pflänzchen weiter rechts – „habe ich das Gefühl, dass sie zwar gut dastehen, aber ich empfinde sie nicht als eine Einheit mit dem Boden, der sie nährt.“

Das große Wunder unter der Erde

Füße im Boden
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Der Boden ist das zentrale Organ für die beiden. „Nach der Umstellung auf biodynamische Landwirtschaft und durch unsere besondere Lockerung des Bodens durch Dämme spüre ich, dass der Boden wieder Luft bekommt“, beschreibt Jens. Mit dem Spaten sticht er mit vier tiefen Schlägen zwischen die Dinkelpflanzen und stemmt einen großen Brocken dunkle, von Wurzeln durchzogene Erde heraus. Er zeigt auf zahlreiche Luftgänge, kleine Tierchen sind zu sehen, zwei Würmer bewegen sich auf dem Erdklumpen. Mit den Fingern zerreibt er ein paar Krumen, die Erde riecht nach Waldboden. „Ich bin erstaunt, wie schnell sich das Bodenleben durch den Einsatz anderer, schonender Technik und das Nähren durch Präparate und Gründüngung verbessert hat“, freut er sich. Für ihn ist der Humus, also die fruchtbare obere Bodenhülle der Erde, ein eigenes Lebewesen: „Die Gestalt bleibt äußerlich gleich – doch im Inneren tauschen sich die Stoffe ständig aus. Von vielen wissen wir heute noch gar nicht, dass es sie gibt. In der Forschung werden immer nur einzelne Aspekte des Bodens beschrieben, etwa durch Nährstoff-Analysen, aber den Humus in seiner Ganzheit haben wir noch nicht vollständig durchdrungen. Humus ist nämlich viel mehr als das rein Mineralische, das abgestorbene Pflanzenmaterial, sondern gleichzeitig auch das Lebendige, wenn ich allein an Mykorrhiza-Pilze denke oder an Bakterien! Die gegenwärtige Sicht besagt, dass der Boden die Pflanzen hält und nährt. Doch gleichzeitig nährt die Pflanze in gewissem Sinne auch das Bodenleben.“

Hände mit Erde
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Mich fasziniert der Boden. Er hat noch immer etwas Unerforschtes, Geheimnisvolles.

Jens Müller Cuendet

Spürend Landwirtschaft betreiben

Durch die Arbeit auf verschiedenen Demeterhöfen und durch die Beschäftigung mit biodynamischem Anbau ist Jens auch persönlich zu einer bewussteren Wahrnehmung gelangt. Einer Wahrnehmung, die dem Spüren ähnelt: „Das geht nicht rein über Kopf und Verstand. Natürlich ist der Ausgangspunkt immer etwas Offensichtliches. Ich mache Erfahrungen, ich denke, ich weiß Dinge – doch dann spüre ich auch hin: Was tut dem Boden gut? Wie kommt Luft in ihn hinein, mit welcher Technik kann ich das unterstützen?

Auch stelle ich mir die Felder gern vor meinem inneren Auge vor, so komme ich dann zu einer Entscheidung. Zugegeben: Im Nachhinein kann ich nicht immer hundertprozentig sagen, dass es besser oder schlechter gewesen wäre, hätte ich sie anders getroffen!“

Jens Müller Cuendet
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Es lebt unter uns

Wenn man näher hinschaut, etwa durch ein Mikroskop, sieht man es wuseln: In einer Handvoll Boden können so viele Lebewesen vorkommen, wie es Menschen auf der Erde gibt. Noch längst nicht ist der Boden, auf dem wir ­stehen, von dem wir leben, in all seinen Prozessen erforscht. Eine Pionierleistung ist die 1922 erschienene Beschreibung des Bodenlebens durch den Botaniker und Mikro­biologen Raoul Heinrich Francé. Was er entdeckte, nannte er „Edaphon“ – ein komplexes Zusammenspiel aus Algen, Bakterien, Asseln, Pilzen, Geißeltierchen, Milben, Würmern … Sie spielen eine zentrale Rolle für viele Vorgänge: zum Beispiel bei der Entstehung von Humus aus Pflanzenresten, beim Wasser- und Gasaustausch im Boden oder auch dabei, dass diese Tierchen den Pflanzen vorverdaute Nährstoffe zur Verfügung stellen und somit Lehmpartikel mit organischer Materie zu Krümeln verkleben können.

Das Ende einer langen Suche

Catherine Cuendet und Jens Müller Cuendet
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Während Catherine ihr Arbeitsleben der Züchtung mit langen Zyklen verschrieben hat und ihre Ergebnisse mit Sorgfalt und Geduld dokumentiert, ist Jens jemand, der das Anpacken liebt. Gerade wenn alles noch offen ist. Auf dem Hofgut Oberfeld hatte er die Bäckerei gegründet und über 300 Parzellen zum Selbsternten aufgebaut. Sohn Maurus, 7, und Tochter Salome, 5, wurden dort geboren. „Wir hatten es schön in der Gemeinschaft“, erzählt Catherine. Dennoch hatte Jens stets den Traum von einem Neuanfang – und 2015 war auch für Catherine der Moment gekommen zu sagen: Wir starten nochmals neu.

Gut Mönchhof im Meißnervorland
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Als sie noch in der Schweiz lebten, hatten sie zusammen mit Gleichgesinnten jahrelang nach einem Hof gesucht, den sie biodynamisch bewirtschaften wollten. „Mit vielen jugendlichen Träumen und Idealen“, erinnert sich Catherine. Als die Gruppe auseinanderging, war auch für Catherine die Suche erst einmal zu Ende. Ganz anders beim zweiten Versuch, als sie als Familie suchten – und sich die Hofgründung auch ohne eine Gruppe zutrauten. „Diesmal haben wir uns nicht einfach jede Hofstelle angeschaut, sondern gingen viel nüchterner vor, mit ganz konkreten Bedingungen. Ein geeigneter Standort für die Saatgutvermehrung sollte es sein, nicht zu abgelegen und mit einer erreichbaren Waldorfschule in der Nähe.“ Dass sie und das Gut Mönchhof zusammengefunden haben, war eine glückliche Fügung. Hier war alles noch offen, nichts etabliert, die besten Voraussetzungen für jemanden wie Jens, der das Gestalten liebt. „Wir konnten noch einmal ganz neu anfangen, auf einer gemeinsamen Basis, die uns auch als Paar trägt“, sagt Jens. Zum Glück wird vieles noch lange offenbleiben auf dem Gut Mönchhof, das, endlich wachgeküsst, auch in Zukunft ein Ort sein wird, an dem so mancher Traum Wirklichkeit werden kann.