Die Regenwurmzähler

Demeter-Bauern, das sind die, die stolz ihre Würmer zählen – oder etwa nicht?

Nicht ohne Stolz führte Tine das Diplom mit sich, das sie als staatlich geprüfte und Demeter-zertifizierte Regenwurmzählerin auswies. Sie hatte gelernt, einen Tauwurm von einem Kompostwurm zu unterscheiden, ihre Diplomarbeit über die peristaltische Fortbewegungsart der Wenigborster verfasst, Mondnächte mit assistierendem Regenwurmzählen verbracht und zärtlich über die einzelnen Segmentborsten in Schockstarre gefallener Ringelwürmer gestrichen. Die Grenze zwischen Mensch und Tier hatte sich dabei stets weiter aufgelöst, und Tines metaphysisch obdachloses Geworfensein war einer inneren Verbundenheit mit der Weltmaterie gewichen. Wozu brauchte der Mensch Götter, fragte sie sich, wenn er doch Regenwürmer besaß?

 

Nun in ihrer Jungfernnacht als Regenwurmzählerin packte sie ihr Butterbrot aus der Blechdose, nahm einen Schluck heißen Ringelblumentee aus der Thermoskanne, lehnte sich auf einem Mooskissen an den Stamm einer Eiche und legte das ökologisch inkorrekt laminierte Diplom neben sich auf den nachtdunklen Acker. Da! Der erste Wurm brach aus der Scholle, schlug durch geschicktes Kontraktieren der Ring- und Längsmuskulatur einen seitlichen Bogen, legte immer mehr Körpersegmente frei und richtete sich dann, sachte im Kreise wippend, mit der Kopfspitze auf, während das Körperende weiter in der schweren Ackererde verharrte.

Tine war geneigt, das Tier auf ihrem Erfassungsbogen gleich doppelt abzuzeichnen, so vital, gesund und bodenlockernd, wie es sich aufführte! Doch emotionalen Ausnahmesituationen nachzugehen, war ihr in der Ausbildung streng untersagt worden. Regenwurmzählen war ein rein wissenschaftlicher Vorgang von feinster Empirie. Tine hoffte, dass noch in ihrer ersten Nacht etwas Regen fiele, der noch mehr Tiere aus ihren Gängen an die Erdoberfläche treiben würde. Doch die Nacht blieb trocken und lau. Eine Viertelstunde verging. Nichts. Eine weitere Viertelstunde. Da, ein weiterer Tauwurm, den sie sogleich auf dem Erfassungsbogen abzeichnete.

Auf einmal hörte Tine ein Niesen. Oder vielmehr ein Husten. Tatsächlich, einer der Regenwürmer schien erkältet. Sie hätte nicht gedacht, dass man Regenwürmer tatsächlich husten hören konnte, wenn man genau genug lauschte. Was war dann noch alles zu hören? Wie sie sich das Haar hinter die Ohren strichen? Wie sie sich küssten? Tine nahm sich vor, all dem in ihrer ersten Nacht nachzuspüren. Da, schmatzte nicht einer der Würmer? Räusperte sich? Schlug klappernd die Augendeckelchen auf? Als sie so aufmerksam lauschte, dass sie einen Jungwurm gar verschämt in seine Rumpfbeuge gähnen hörte, war Tine mit einem Mal klar, dass ihre Ausbildung versagt hatte. Man hatte ihr Unsinn beigebracht. Die Regenwürmer hießen nicht so, weil sie bei Regen an die Oberfläche traten. Nein, sie hießen so, weil sie unter Tage ununterbrochen rege waren. Die Menschen hörten nur nicht genau genug hin.

Ackern für einen lebendigen Boden

Demeter-Bäuerinnen und -Bauern sorgen mit Biodynamischen Präparaten aus Kräutern, Kuhmist, Kiesel und Horn und einer vielfältigen Fruchtfolge dafür, dass der Boden lebendig ist. Dieser ist die Grundlage für qualitätsvolle Lebensmittel.

Mehr dazu unter Fakt #1 der „20 Fakten“ über Demeter