Das große Ganze im Blick

Was macht Demeter-Betriebe besonders? Was ist das Problem bei Glyphosat und synthetischem Stickstoffdünger? Und was verbirgt sich eigentlich hinter dem sperrigen Begriff des Hoforganismus? Darüber sprachen Autor Christian Göldenboog und Demeter-Landwirtin Ulrike Schmid auf dem Heggelbachhof.

Moderation: Eva Müller

Herr Göldenboog, Sie haben sich aufgemacht, das Biodynamische zu verstehen, und über Ihre Reise das Buch „Die Weisheit des Misthaufens“ geschrieben. Was hat Sie angetrieben?

Christian Göldenboog: Ich habe mehrere Bücher über Wein publiziert, da kommt man an Biodynamik nicht mehr vorbei. Biodynamische Winzer haben in den letzten 15 Jahren sehr an Popularität gewonnen. Viele renommierte Winzer, vor allem in Frankreich, haben auf Demeter umgestellt. Aber die Berichte in Wein-Journalen gehen oft sehr oberflächlich auf die biodynamische Landwirtschaft ein. Oft wird sie als obskure Idee Rudolf Steiners dargestellt und auf Mondphasen reduziert. Ich wollte wissen: Was steckt wirklich hinter der Biodynamischen Wirtschaftsweise? Und ich muss sagen, ich bin auf einige sehr bemerkenswerte Ideen oder Konzepte gestoßen.

Und wo sind Sie dem Biodynamischen auf den Grund gegangen?

Christian Göldenboog: Ich habe mich auf den Dottenfelderhof bei Frankfurt konzentriert. Hier laufen verschiedene wichtige Aspekte zusammen, die Demeter ausmachen: Landwirtschaft, Kühe mit Hörnern und die Pflanzenzucht. Der Auslöser war ein Rosenkohl, den ich in einem Bioladen im hessischen Altenstadt gekauft habe. Dieser hat mich sehr beeindruckt – das war ein komplett anderes Geschmackserlebnis, als ich es von konventionellen Sorten gewöhnt war. Ich fand heraus, dass ihn Hartmut Spieß vom Dottenfelderhof züchtet.

Ulrike Schmid: Ganz wichtig beim Geschmack finde ich, dass er sich in jungen Jahren bildet. Das, was wir unseren Kindern zu essen geben, schult deren Geschmackssinn. Einem Kind, das immer nur Ananas aus der Dose gegessen hat, dem wird eine frische Ananas nicht schmecken. Und da stelle ich mir schon die Frage: Wo geht das hin mit dem Geschmack? Ältere Menschen kennen den Geschmack alter Sorten ja noch von früher und freuen sich, wenn sie mal wieder eine richtig gute Erdbeere essen. Das sind aber nur die, die diesen Geschmack schon kennen. Für die anderen schmeckt es erst einmal komisch.

Christian Göldenboog: Ich zitiere immer gerne Nietzsche aus seinem Klassiker „Die Fröhliche Wissenschaft“. Er hat geschrieben: „Es ist wichtiger, den Geschmack zu verändern als Meinungen.“ Meinungen, auch gerade politische, ändern sich beliebig. Wenn Menschen aber ihren Geschmack zu Bio hin verändern, ist dies langfristig und nachhaltig.

Ulrike Schmid: Der Geschmackssinn war ja ursprünglich dazu angelegt, zu erkennen, was mir guttut und was nicht. Heute wird er durch die vielen Zusatzstoffe immer mehr zum Egoisten: Es geht nur noch um die Frage: Was schmeckt mir, was schmeckt mir nicht? Das hat nichts mehr damit zu tun, was für uns gesund ist.

Ulrike Schmid

Ulrike Schmid ist Mitglied der Demeter- Hofgemeinschaft Heggelbach in Herdwangen- Schönach, unweit des Bodensees. Sie leitet das Hofbüro und kümmert sich um die Verwaltung. Seit 2007 ist sie ehrenamtlich im Vorstand von Demeter Baden- Württemberg tätig.

Christian Göldenboog

Christian Göldenboog ist Autor von „Das Loch im Walfisch. Die Philosophie der Biologie“ und „Wozu Sex? Von der Evolution der zwei Geschlechter“. Außerdem hat er mehrere Bücher über Wein geschrieben und gilt als einer der führenden Champagner- Kenner in Europa, zuletzt erschien „Die Champagner-Macher“.

Herr Göldenboog, Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch auch mit Mitteln aus der konventionellen Landwirtschaft, allen voran Stickstoff und Glyphosat. Warum unter der Kapitelüberschrift „Die permanente Aufrüstung“?

Christian Göldenboog: Es wird ja immer so dargestellt, als sei das Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Stickstoff entwickelt worden, um die Menschheit vor dem Verhungern zu bewahren. Eigentlich wurde die Methode aber entwickelt, um Sprengstoff für den Ersten Weltkrieg herzustellen. Nur so konnte überhaupt der Krieg von den Deutschen weitergeführt werden. Dafür wurden riesige Anlagen aus dem Boden gestampft. Nach dem Krieg hat man sich dann überlegt, wohin mit dem ganzen Zeug? Und hat beschlossen: Das drehen wir jetzt den Landwirten an.

Demeter-Redakteurin Eva Müller (rechts) moderierte das Gespräch auf dem Heggelbachhof.

Bei Glyphosat geht es ja ebenfalls um eine Aufrüstung. Man versucht Pflanzen, die man nicht auf dem Acker haben möchte – Unkräuter –, mit Glyphosat zu vernichten. Die Natur findet aber immer einen Weg; die Unkräuter werden resistent. Also selbst diese kleinen Pflänzchen finden einen Weg, sich gegen die Chemie zu wehren, indem sie die Gene verdoppeln, die für jene Stoff-wechselvorgänge verantwortlich sind, die das Glyphosat unter-binden will. Also muss ein Landwirt dieser Logik nach noch mehr Chemie spritzen. Da muss man sich fragen: Wo soll das alles hinführen? Dieses endlose Wettrüsten ist nicht nur schlecht für Boden und Umwelt, sondern ist auch sehr teuer. Da wäre es doch sinnvoller, einen anderen Weg zu wählen.

Ulrike Schmid: Es ist allerhöchste Zeit, einen Schritt zurückzugehen und den gesamten Organismus als Ganzes zu betrachten – und nicht nur jeweils die einzelnen Teile für sich. In der Naturwissenschaft wird häufig vom Detail und nicht vom großen Ganzen her gedacht. Natürlich braucht die Naturwissenschaft die Reduktion, um bestimmte Sachverhalte zu untersuchen – muss diese dann aber wieder in den Gesamtzusammenhang bringen. Und dieser Schritt wird oft verpasst. Ich bin der Auffassung, man muss auch auf die Wechselwirkungen der verschiedenen Aspekte achten.

Christian Göldenboog: Das sehe ich auch so. Die Naturwissenschaft vermittelt oft den Eindruck, durch die Analyse der einzelnen Teile wüsste man, wie das große Ganze funktioniert. Aber das ist natürlich ein Trugschluss, weil das Ganze immer mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Für mich als jemand, der nicht aus der Landwirtschaft kommt, war deshalb die Idee des Hoforganismus faszinierend. Es ergibt Sinn, dass alle Organe eines Hofs in einem Kreislauf aufeinander abgestimmt sind und nur miteinander gut funktionieren.

Demeter-Hoforganismus

Das Ideal der Biodynamischen Wirtschaftsweise ist die Kreislaufwirtschaft: Der Landwirt hält nicht mehr Tiere, als sein Land ernähren kann. Deren Mist sowie die von den Bäuerinnen und Bauern eingesetzten Biodynamischen Präparate sorgen für eine hohe Bodenfruchtbarkeit, die beste Lebensmittel für den Menschen hervorbringt. So wird der Hof zu einem einzigartigen Organismus, in dem jedes „Organ“ das andere braucht: Mensch, Pflanze, Tier und Boden wirken zusammen.

Was macht den Hoforganismus am Heggelbachhof aus?

Ulrike Schmid: Wir wirtschaften in Kreisläufen: Wir haben hier eine Kuhherde mit etwa 50 Milchkühen und halten so viele Tiere, dass wir die optimale Menge an Dünger für unsere Flächen haben und natürlich genügend eigenes Futter. Unsere Milch verarbeiten wir gleich auf dem Hof in unserer Käserei zu Bergkäse, Camembert, Schibli, Tilsiter und Frischkäse. Da durch die Käserei viel Molke anfällt, halten wir mittlerweile etwa 250 Mastschweine. Außerdem bauen wir Feldgemüse und Kartoffeln an. In unserer Gemüsehalle verpacken wir unser Gemüse und das von anderen Demeter-Betrieben aus der Region. So bleibt die aussortierte Ware auf dem Hof und kann an die Schweine verfüttert werden. Die Ferkel, die wir aufziehen, stammen von einem Demeter-Hof, der nur drei Kilometer entfernt ist. Auch das Fleisch wird hauptsächlich in der Region verkauft.

Heggelbachhof

Der Heggelbachhof wird seit über 30 Jahren nach Demeter-Richtlinien bewirtschaftet. Heute haben sich fünf Familien zu einer Betriebsgemeinschaft zusammengeschlossen und bewirtschaften den Hof in der Nähe des Bodensees gemeinsam. Zum Heggelbachhof gehören auch rund 50 Milchkühe und deren Nachzucht sowie etwa 250 Mastschweine. Im Umfeld von 50 Demeter- Betrieben rund um den Bodensee hat sich die Hofgemeinschaft mit einer Gruppe von etwa zehn Betrieben eine sehr starke regionale Vermarktung aufgebaut.

In Heggelbach gibt es 250 Mastschweine, die auf dem Hof die „Resteverwerter“ sind.

Unsere Böden sind die Grundlage für den gesamten Hoforganismus. Seit einiger Zeit kümmern wir uns noch mehr um ihre Fruchtbarkeit und Lebendigkeit. So konnten wir die extremen Witterungsschwankungen in diesem Jahr relativ gut verkraften. Wir können hier auch in Dürrezeiten nicht bewässern; deshalb legen wir viel Wert auf die richtigen Zwischenfrüchte. Wenn unter anderem die Erde gut durchwurzelt ist, kann sie Wasser besser speichern. Den Kreislaufgedanken haben wir auch auf unsere Energieversorgung ausgeweitet. Wir begannen 2006 mit Fotovoltaik-Anlagen auf dem Hof; 2008 kam dann für mehr Energieeffizienz ein Holzvergaser dazu – mit dessen Abwärme können wir unseren gesamten Wärmebedarf decken. Es ist verrückt, wenn man darüber nachdenkt, wie viel Wärme sonst tagtäglich ungenutzt in die Atmosphäre verschwindet.

Und mit der Agro-Fotovoltaik geht ihr noch eine Stufe weiter. Wie viele Haushalte versorgt ihr damit?

Ulrike Schmid: Ja, auf unserem Acker steht inzwischen auch auf einem halben Hektar eine Fotovoltaik-Anlage; ein Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts. Von dieser Fotovoltaik-Anlage nutzen wir momentan 40 Prozent für den Eigenbedarf mit dem Ziel, durch Speicherung auf 60 Prozent zu gelangen. Die Anlage kann ungefähr 50 bis 60 Haushalte mit Strom versorgen.

Agro-Fotovoltaik auf dem Heggelbachhof: Auf dem Acker werden nicht nur Lebensmittel, sondern auch Energie erzeugt.

Als Betriebsgemeinschaft müsst ihr solche Dinge ja gemeinsam entscheiden. Wie trefft ihr solche Entscheidungen?

Ulrike Schmid: Wir haben immer montags unsere Hofabende. Da besprechen wir die Betriebsführung und planen die Zukunft des Hofs, so auch die Agro-Fotovoltaik. Erstmal fanden wir Fotovoltaik-Anlagen auf dem Acker hässlich. Andererseits wollen wir aber auch die Energiewende und keine Kernkraftwerke. Deshalb haben wir uns schließlich entschieden, bei dem Projekt mitzumachen. Wir sahen es als Chance, bei einem Forschungsprojekt von Anfang an beteiligt zu sein und so auch die Kriterien mit festlegen zu können.

Ist der Winter für dich eine Jahreszeit, in der du dich eher mit Fragen beschäftigst, die über den Hofalltag hinausgehen?

Ulrike Schmid: (lacht) Es ist ein Ammenmärchen, dass im Winter auf einem Hof so viel mehr Zeit übrig bleibt als während des restlichen Jahres, sodass man als Bäuerin gemütlich in der Ofenecke sitzt und Steiner studiert. Ich habe es jedenfalls bisher noch nicht erlebt! Es ist sicher so: Im Winter wird es kühler, man zieht sich ins Haus und in die Stallgebäude zurück. Das ist auch eher die Zeit, in der man ein bisschen nachdenklicher wird. Aber dass ich mich in etwas vertiefe, innehalte oder mich bemühe, etwas von Grund auf zu verstehen, das kommt, wenn mich eine Frage umtreibt – egal ob Sommer oder Winter. Und dann nehme ich mir die Zeit, die ich dafür brauche.

Herr Göldenboog, von welchen Klischees über Demeter haben Sie sich bei Ihren Recherchen verabschiedet?

Christian Göldenboog: Ich versuche immer, ohne vorgefertigte Meinungen in meine Recherchen zu gehen. Über die oberflächliche Berichterstattung über das Biodynamische habe ich mich wirklich geärgert! Deshalb war es mir ein großes Anliegen, in meinem Buch über die vielen verschiedenen Aspekte der biodynamischen Landwirtschaft zu schreiben und aufzuklären. Ein weit verbreitetes Klischee ist etwa, dass Demeter- und Bio-Landwirte arbeiten wie Bauern im 17. Jahrhundert. Ich habe schnell festgestellt, dass das Blödsinn ist. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass Demeter-Höfe wie der Dottenfelderhof auch mit neuester Technik experimentieren. Auch das Forschungsprojekt um die Agro-Fotovoltaik- Anlage auf dem Heggelbachhof ist zukunftsweisend.

Gibt es etwas, dem Sie bei Ihren Recherchen immer wieder begegnet sind?

Christian Göldenboog: Ich fand es auffällig, dass Menschen, die direkt mit der Erde arbeiten, ganz anders ticken. Bäuerinnen und Bauern, die biodynamisch arbeiten, beschäftigen sich auch sehr philosophisch und konzeptionell mit ihrer Arbeit. Das hat mich tief beeindruckt.

Lesetipp

Christian Göldenboog:Die Weisheit des Misthaufens. Expeditionen in die biodynamische Landwirtschaft“, C. H. Beck Verlag

„Bio“ und „öko“ sind in. Doch „bio“ ist nicht gleich „bio“. Am weitreichendsten wird das Prinzip einer naturnahen Landwirtschaft mit Respekt vor den Tieren, den Pflanzen und dem Boden von den „Biodynamikern“ umgesetzt. Christian Göldenboog führt uns zu den Orten in Europa, an denen die biologisch-dynamische Landwirtschaft konsequent und mit Passion praktiziert wird. Seine süffig geschriebenen Reportagen schildern, wie die Menschen denken und handeln, die die Welt retten und unser Essen zugleich besser und schmackhafter machen wollen. Anfangs selbst skeptisch, lässt sich Christian Göldenboog zusehends davon überzeugen: Zur herkömmlichen EU-Landwirtschaft haben die Biodynamiker eine Alternative, deren Vorzüge man sehen, schmecken und riechen kann.