Gutes Essen darf kein Luxus sein

Was bedeutet eigentlich ein gutes Leben? Und wie können wir es schaffen, dass sich alle Menschen Bio- und Demeter-Produkte leisten können, nicht nur Besserverdienende? Darüber diskutieren die Soziologin Miriam Schad und Demeter-Vorstand Alexander Gerber im Materiallager der Upcycling-Initiative „Kunst-Stoffe“ in Berlin-Pankow.

Moderation: Eva Müller

Eva Müller hat das Gespräch moderiert. Sie ist bei Demeter für die Online- Kommunikation und Social Media verantwortlich. Sie persönlich verzichtet weitestgehend auf Flugreisen und isst vegetarisch. Ihr Luxus: Sie hält ein Pferd und hat einen „halben Hund“ – den Mischling Kalle, den sie mit ihrer Demeter-Kollegin teilt.

Frau Schad, Ihr Buch heißt „Über Luxus und Verzicht“. Was bedeuten diese beiden Begriffe für Sie und die Menschen, mit denen Sie gesprochen haben?

Miriam Schad: Ich habe das Buch „Über Luxus und Verzicht“ genannt, da ich in meiner Forschung zwei Annahmen gegenübergestellt habe. Das war einmal die „Öko-Luxus-These“, die besagt, dass Menschen genügend Zeit und Geld brauchen, um sich mit Umweltschutz auseinanderzusetzen. Hinter der anderen „These des Zwangsumweltschutzes“ steckt die Vermutung, dass Menschen in schwierigen sozialen Lagen zwangsläufig und auch ungewollt weniger Ressourcen verbrauchen und so zum Umweltschutz beitragen. Etwa weil sie auf Reisen verzichten oder das eigene Auto abschaffen.

Und welche Annahme trifft zu?

Miriam Schad: Es hat sich herausgestellt, dass beide Thesen zutreffen können, da sie unterschiedliche Konsumformen betreffen: den sogenannten suffizienten Konsum, etwa wenn ich zwangsweise das Fahrrad anstelle des Autos nutze oder Dinge wiederverwerte, aber auch den politischen Konsum. Bei letzterem entscheide ich mich bewusst dafür, Bioprodukte zu kaufen oder Ökostrom zu beziehen. Durch den politischen Konsum entstehen höhere Kosten für mich – und ich wäge ab, ob es mir das wert ist und ich dafür in anderen Bereichen spare.

Im Materiallager der Kunst-Stoffe in Berlin-Pankow werden Restmaterialien aus Baumärkten und Betrieben gesammelt. Sie werden wiederverwertet und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

Wenn Menschen das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden, sinkt auch ihre Bereitschaft, sich für den Umweltschutz einzusetzen. Das ist eine Herausforderung, da wir von einer Zunahme von sozialer Ungleichheit ausgehen. Häufig wird ja argumentiert, Umweltschutz sei ein Luxusproblem. Das finde ich schwierig: Wenn Nachhaltigkeit öffentlich als Elitenphänomen wahrgenommen wird, dann haben wir ein massives Problem.

Kommen politische Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit bisher nicht eher Besserverdienenden zugute? Ich denke hier an eine Prämie für den Kauf von Elektroautos oder für Solaranlagen auf Hausdächern.

Miriam Schad: Das ist der klassische Vorwurf. Es hängt aber sehr davon ab, wie verteilungssensibel man umweltpolitische Maßnahmen gestaltet. Sozial- und Umweltpolitik könnten sich ja auch wunderbar positiv ergänzen – etwa bei einem kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr. Davon würden wirklich alle profitieren und es wäre keine Subvention einer einzelnen Mobilitätsform. Die derzeitige starke Subventionierung des Autos wirkt ja auch sozial ungleich, weil sich nicht alle ein Auto leisten können und etwa gerade Menschen mit geringen Einkommen an stark befahrenen Straßen wohnen müssen. Die Mobilität im Alltag hat bei den Menschen, die ich für meine Studie interviewt habe, eine große Rolle gespielt.

Alexander Gerber: Sowohl im Alltag als auch bei Ferienreisen. Es ist manchmal etwas absurd: Ich kenne aus dem eigenen Umfeld Leute, die privat ökologisch bewusst leben und auch in Berufen arbeiten, in denen sie der Ökologie verpflichtet sind – doch sie fliegen dann privat ziemlich viel. Der ökologische Fußabdruck vom Fliegen, vor allem bei Fernreisen, ist ja extrem groß – und macht Anstrengungen in anderen Bereichen ganz schnell zunichte.

Miriam Schad: Es gab mal eine unveröffentlichte Untersuchung, dass Grünen-Wähler eine wichtige Zielgruppe für Fluggesellschaften sind. Da gibt es eine extreme Diskrepanz in unterschiedlichen Lebensbereichen. In prekären Situationen verzichten Menschen in der Regel als erstes auf Urlaubsreisen. Ich habe mit Menschen gesprochen, die seit zehn Jahren nicht mehr im Urlaub waren.

Miriam Schad

arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität in Dortmund. Sie hat an der Philipps-Universität in Marburg Soziologie studiert und danach am Forschungsbereich „Klimakultur“ am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen geforscht. Die vorgestellte Studie stellt ihre Promotion dar, die durch ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde.

Alexander Gerber

ist seit 2013 Vorstandssprecher bei Demeter. Zuvor war er zehn Jahre Geschäftsführer beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Gerber hatte nach einer landwirtschaftlichen Lehre auf einem biologisch-dynamisch bewirtschafteten Hof Agrarwissenschaften studiert, an der Universität Hohenheim promoviert und war zunächst in der Forschung tätig.

Sind Bioprodukte Luxus?

Miriam Schad: Ich habe das bei der Arbeit für mein Buch so wahrgenommen. Manche meiner Gesprächspartner haben sich bewusst von „Ökos“ abgegrenzt. Sie haben dabei angezweifelt, dass hinter Bioprodukten eine höhere Qualität steckt.

Alexander Gerber: Das ist dann vielleicht auch ein Schutzmechanismus, um nicht auch noch beim Essen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Miriam Schad: Andere waren aber auch dabei, die wenig Geld zur Verfügung haben und in sehr einfachen Verhältnissen leben, aber von ihrem geringen Einkommen vergleichsweise teurere Bioprodukte kaufen. Für sie bedeuten diese Lebensmittel Lebensqualität und ein gutes Gefühl. Sie verzichten dafür gern auf andere Dinge. Ich habe herausgefunden: Wenn Menschen freiwillig einen bescheidenen, aber umweltaffinen oder nachhaltigen Lebensstil wählen, dann kann er helfen, mit einer eigentlich prekären Lebenslage besser zurechtzukommen. So gab es zum Beispiel eine Interviewpartnerin, die trotz weiter Fahrtwege etwa auf einen Führerschein und das eigene Auto verzichtete und ihr Geld in regionale und ökologisch erzeugte Lebensmittel und den eigenen Gemüsegarten investierte und damit sehr glücklich war. Doch wenn das Gefühl aufkommt, von äußeren Umständen in eine bestimmte Lage mit begrenzten Handlungsspielräumen gedrängt oder mit erhobenem Zeigefinger bevormundet zu werden, funktioniert das nicht mehr.

„Das Ziel von Nachhaltigkeits-Initiativen müsste ja ‚Bio für alle‘ sein!“

Miriam Schad

Alexander Gerber: Hier stecken wir mit Demeter tatsächlich in einem Dilemma. Durch unsere strengen Richtlinien, wie die Pflicht zur Tierhaltung oder die Vorgabe, dass unsere Kühe ihre Hörner behalten dürfen, ist Demeter in der Lebensmittelproduktion einfach objektiv teurer – auch im Vergleich zu anderen Bioproduktionen. Der wirtschaftliche Druck auf die Landwirte ist hoch. Wir möchten, dass die Bäuerinnen und Bauern und die anderen Akteure der Wertschöpfungskette fair entlohnt werden. Deshalb haben wir auch bewusst ein Image als Premium-Biomarke aufgebaut. Gleichzeitig ist es aber unser Anspruch, Lebensmittel für alle zu erzeugen, nicht nur für Besserverdienende. Eigentlich sollte sich jeder Demeter-Produkte leisten können. Was wären Ihre Empfehlungen vor dem Hintergrund Ihrer Studien?

Miriam Schad: Es ist wichtig, genau das zu kommunizieren. Es ist ja nicht wünschenswert, bestimmte Produkte herzustellen, die sich Menschen in prekären Lebenslagen leisten können, wenn durch deren Herstellung jedoch bei den Landwirtinnen und Landwirten prekäre Lebensumstände entstehen. Das wäre ja ein Widerspruch! Dieser Ansatz der angemessenen Entlohnung ist sicherlich eine Chance: Die Lebensbedingungen der Menschen, die auf den Höfen arbeiten, könnten ja auch ein Teil der Außendarstellung sein. Gibt es dazu Ideen aus dem Demeter-Umfeld?

Alexander Gerber: Es gibt verschiedene Ansätze, die aus dem Demeter-Kontext heraus entstehen oder entstanden sind. Ein prominentes Beispiel ist die solidarische Landwirtschaft. Hier trägt eine Gruppe von Verbrauchern die Kosten eines Betriebs und bekommt im Gegenzug die Lebensmittel, die auf dem Hof erzeugt werden.

Die Bäuerinnen und Bauern haben dadurch ein sicheres Einkommen und der Hof ist existenzfähig. Ertragsschwankungen tragen die Verbraucher mit. Zudem ist es häufig so, dass die Verbraucher je nach Einkommen unterschiedliche Beiträge bezahlen. Es können also alle, auch Menschen in prekären Lebenssituationen, mitmachen.

Sind die höheren Preise für Demeter- Lebensmittel denn gerechtfertigt?

Alexander Gerber: Bio- und Demeter- Lebensmittel sind ja nicht ohne Grund teurer. Sie kosten so viel, weil sie Umweltschäden vermeiden und die Tiere artgerecht gehalten werden. Die Kosten der konventionellen Landwirtschaft entstehen an anderer Stelle, die dann wiederum die Allgemeinheit tragen muss – etwa für die Aufbereitung des Trinkwassers oder für die Folgen des Klimawandels. Es gibt eine interessante Studie einer unserer großen Biobrauereien: Den Aufpreis, den die Brauerei ihren Bauern für die Bioqualität des Getreides bezahlt, entspricht der Summe, die die Wasserwerke aufwenden müssten, um Pestizide und überschüssiges Nitrat aus dem Trinkwasser herauszufiltern.

Das Ungerechte dabei: Die Biokonsumenten zahlen doppelt – einmal den höheren Preis für das Bioprodukt, und mit der Wasserrechnung müssen sie den von der konventionellen Landwirtschaft verursachten Schaden mitbezahlen.

„Die Politik ist gefordert, die Zukunft gerechter zu gestalten – und sollte den Mut haben, Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen auszuprobieren.“

Alexander Gerber

Miriam Schad: Es ist problematisch, wenn sich aufgrund der höheren Preise nur Besserverdienende Bio-Lebensmittel leisten können. Das Ziel von Nachhaltigkeits-Initiativen müsste eigentlich ‚Bio für alle‘ sein! Gerade bei Kindern sollte es nicht allein von der ökonomischen Situation der Eltern abhängen, welche Ernährungsgewohnheiten sie entwickeln.

Wie können wir es schaffen, dass sich alle Bio leisten können?

Alexander Gerber: Einmal müssen Lebensmittel wieder einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen. In Deutschland wird häufig zuerst an der Nahrung gespart, in Frankreich oder der Schweiz ist das ganz anders. Die Politik muss außerdem dafür sorgen, dass der konventionellen Landwirtschaft auch die Kosten für die Schäden, die sie verursacht haben, zugerechnet werden – etwa durch eine Stickstoff- und Pestizidabgabe. Dann werden konventionelle Produkte teurer als Bioprodukte, das ist meine feste Überzeugung. Und letztlich ist auch das Thema Bildung und Ernährungskompetenz ganz wichtig. Eine gute und kostengünstige Ernährung zeichnet sich dadurch aus, dass ich viel zu Hause koche und frische, saisonale Produkte aus der Region verwende. Auch Fleisch kommt dann nicht jeden Tag auf den Tisch, ich denke da eher an den Sonntagsbraten von früher, als Fleisch etwas Besonderes und nicht Alltägliches war.

Miriam Schad: Ich finde, dass es viele Lebenslagen in Deutschland gibt, die verbessert werden müssen. Hierfür lassen sich unterschiedliche politische Konzepte diskutieren wie etwa das bedingungslose Grundeinkommen. Und natürlich auch, da gebe ich Ihnen Recht, über unsere Einstellung zu Lebensmitteln. Das aber nicht nur im privaten Bereich, sondern insbesondere die Verpflegung in Kindergärten, Schulen, Universitäten und Unternehmen müssten hier vorangehen. In einer Kita könnten etwa alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, mit Bio-Lebensmitteln versorgt werden – und nicht nur mit den billigsten.

Alexander Gerber: Ich finde auch, dass die öffentliche Verpflegung eine ganz wichtige Vorreiterrolle einnehmen sollte. Sie haben das Grundeinkommen angesprochen. Wir als Demeter fordern ja gemeinsam mit anderen anthroposophischen Verbänden und Unternehmen ein sozialeres Miteinander und unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es wird sehr oft argumentiert, dass dies zu teuer sei. Aber es wäre im Prinzip derselbe Betrag, der heute an Sozialtransfer-Leistungen gezahlt wird. Ich finde, man sollte es einfach ausprobieren.

Das Motto unseres Hefts ist „Genießen mit allen Sinnen“. Was genießen Sie besonders?

Miriam Schad: (lacht) Ich finde es natürlich problematisch, wenn alleine materieller Konsum als gutes Leben bewertet wird nach dem Motto „Nur wenn ich viel konsumiere, geht’s mir gut, und wenn ich wenig konsumiere, geht’s mir schlecht“. Für mich bedeutet Genuss, Zeit mit meinen Kindern und mit meiner Familie zu verbringen. Ich genieße es, wenn ich das Gefühl habe, nicht im Hamsterrad des Alltags und unter dem Druck zu stehen, Geld verdienen zu müssen.

Und hat Bio für Sie auch etwas mit Genuss zu tun?

Miriam Schad: Ich persönlich beziehe auch eine Biokiste, die einmal die Woche geliefert wird. Ich empfinde es zum Beispiel als Lebensqualität, nicht so viel Plastikmüll in meinem Haushalt zu haben. Und dass die Produkte zum größten Teil von regionalen Zulieferern kommen und dass ich mit meiner Familie die Höfe auch anschauen kann. Ich möchte mich vergewissern können, dass die Vorstellung, die ich im Kopf habe, auch der Realität vor Ort entspricht.

Miriam Schad: „Über Luxus und Verzicht“, 370 Seiten, oekom Verlag, 2017

Miriam Schad geht in ihrer Studie der Frage nach, wie sich Umweltaffinität und umweltrelevante Alltagspraxis unter verschiedenen Bedingungen von Prekarität gestalten. Ihre Auswertung zeigt erstmals systematisch, welche unterschiedlichen Formen und Deutungen umweltfreundlichen Handelns es bei Menschen in prekären Lebenslagen gibt.