Den Ursprung neu denken

© Eva Müller

In den letzten 25 Jahren haben sie den Guidohof zu dem besonderen Ort gemacht, der er heute ist. Heute brechen Silke und Armin Lucht noch einmal auf. Gemeinsam verfolgen sie ihre Vision vom Guidohof als kulturelle Begegnungsstätte. Sie gehen nochmal ganz neue Wege – und fangen dabei am Ursprung an: der Erde.

Der Guidohof ist ein besonderer Ort. Seit über 25 Jahren haben ihn Silke und Armin Lucht gestaltet und sind mit ihm gewachsen. (Bild: Eva Müller)

Silke und Armin Lucht sind vor ihrem gelben Hofladen ins Gespräch versunken, lachen. Die Wolken brechen auf, als wir am Guidohof ankommen; der kleine Hügel hinter dem Hof leuchtet in warmem Licht. Auf der Kuppe stehen etwas versteckt die beiden Zirkuswagen, mit denen Silke und Armin mit ihren damals noch zwei kleinen Kindern nur vorübergehend ihr Winterquartier aufschlagen wollten. Sie sind geblieben. „Willkommen!“, ruft uns Silke entgegen. Und sofort fühlen wir uns empfangen in der Guidohof-Welt – ganz ohne Kennenlernen, Vortasten und Standpunkte abgleichen. Wir sind einfach da und angekommen, sitzen bald schon am Familientisch in der gemütlichen Küche, auf dem Herd kocht der Kaffee, dazu gibt es dunkle Schokolade aus dem Hofladen.

25 Jahre – was kommt jetzt noch?

Silke und Armin schwelgen in Erinnerungen an den vergangenen Sommer. Silke lässt die Tage vor unseren Augen lebendig werden, an denen sie mit der Hofgemeinschaft, Freunden, Partnern und Guidohof-Kunden einen Monat lang auf verschiedenste Weise ihr 25. Jubiläum feierten. Der Anlass zum Feiern war ein großer: Vieles haben sie erlebt, seitdem sie 1992 mit dem ausgebauten Wohnanhänger hier ankamen. „Es war eine schöne, aber auch arbeitsintensive und geldlose Anfangszeit mit vielen Helfern“, erinnern sie sich. Ihre vier Kinder sind hier groß geworden und auch der Guidohof ist gewachsen und hat inzwischen eine Vielseitigkeit erreicht, die selten ist: Ackerbau, Gemüseanbau, Viehhaltung, eine hofeigene Bäckerei und der gut besuchte Hofladen. Inzwischen beschäftigen die Luchts um die 35 Mitarbeiter, um dies alles zu stemmen. Während Demeter-Landwirt Armin für die Landwirtschaft, Feldgärtnerei und die Bäckerei verantwortlich ist, kümmert sich Silke als Pädagogin um die Jungpflanzenanzucht und die Gewächshäuser, den Vertrieb über die Ökokisten und den Hofladen, das Marketing sowie das Schulprogramm „LernErlebnis Bauernhof“.

Der Guidohof

  • Flächen: 52 Hektar Feldlandschaft: Grünland und Gemüseanbau, 3 Hektar Wald, dazu Jungpflanzenanzucht und Gewächshäuser
     
Tiere: 20 Rinder, 6 Kälber, 5 Färsen, 3 Bullen und 6 Mutterkühe, 2 Pferde, 3 Gänse, 7 Seidenhühner, 10 Laufenten (alles Geflügel von Mitarbeiterin Rosbi)
 
  • Bäckerei: mit Holzbackofen, rund 700 Brote pro Woche
  • Direktvertrieb: Ökokiste: rund 1 000 Kunden in der Region, Hofladen mit 60 m2, Schulobst
       
  • Energie: selbstgebauter Biomeiler,
    Fotovoltaik-Anlage
     
  • LernErlebnis Bauernhof mit Schulklassen-Besuchen
  • Veranstaltungen: Workshops, Konzerte
     
  • 35 Mitarbeiter inklusive Auszubildende

     

    „Unser Jubiläum war für uns nicht nur ein großes Fest mit lieben Menschen und viel Leben auf dem Hof, sondern auch ein Anlass, um innezuhalten und zurückzuschauen. Uns zu fragen: Was haben wir bisher geschafft? Aber vor allem auch: Was kommt jetzt noch? Wie wollen wir den Guidohof weiterentwickeln – aber auch uns selbst?“, erzählt Silke.

    Lebendige Erde

    Armin nickt. Ob Bäckerei, Biomeiler mit Holzhackschnitzeln, Viehhaltung oder neue Gewächshäuser – der gelernte Demeter-Landwirt denkt ständig darüber nach, was er wie verbessern kann, und packt am liebsten selbst an. Seine größte Leidenschaft gilt dem Ackerbau. Nach 25 Jahren widmet er sich nochmal ganz neu dem, was die Grundlage für all die Produkte und somit auch für alle Menschen auf dem Guidohof bildet: dem Boden seines 52 Hektar Landes. Dem Ursprung des Lebens. „Es begann mit einem Schock“, erzählt er: „Bei der  Untersuchung unseres Bodens bekam ich das Ergebnis, dass trotz 25-jähriger Bewirtschaftung nach Demeter-Richtlinien der Humusgehalt bei nur etwas über zwei Prozent lag.“ Damit, so erklärt Armin, war er nicht zufrieden; der Boden war klumpig und trotz des Einsatzes verschiedener biodynamischer Präparate nicht so belebt, wie er sein könnte. „Das ist nun eine große Aufgabe, die mich beschäftigt.“ Das Ideal, sagt er, sei, den Boden in einen Zustand zu versetzen, in welchem er sich selbst regenerieren kann. In den letzten beiden Jahrzehnten der biodynamischen Bewirtschaftung versorgte Armin den Boden neben Präparaten aus Hornmist und Hornkiesel auch zusätzlich mit solchen aus Baldrian und Ackerschachtelhalm. Beim Spaziergang über seine Felder zeigt er den Unterschied: An manchen Randstellen ist der Boden fest und klumpig. „Fast nicht belebt!“, ist sein Urteil, „so war das hier an vielen Stellen.“ Aber kaum schreiten wir über den Feldboden, merken wir schon beim Gehen, dass der Boden hier locker ist, er federt unter unseren Füßen. Mit seinen beiden Händen greift Armin in die Erde. Sie krümelt in kleinen runden Stückchen, das Kopfende eines Regenwurms schaut aus dem Häufchen und bewegt sich suchend in der Luft. „Riech mal“, sagt Armin und hält mir die Erde unter die Nase. Mit geschlossenen Augen inhaliere ich ihren Geruch. Es riecht würzig und … nach Wald? „Ja“, so Armin, „das liegt an dem hohen Anteil an Bodenpilzen und -bakterien, die mit Pflanzen Lebensgemeinschaften eingehen und sie mit Nährstoffen aus der Erde versorgen.“ Ein Beweis dafür, dass die Erde lebendig ist und dass Humus gebildet wird. Armin ist zufrieden und will den neu eingeschlagenen Weg weitergehen.

    „Wenn unsere Kunden in unserem Hofladen einkaufen, haben sie eine viel tiefere Beziehung zu den Produkten: Sie riechen das frisch gebackene Brot, im Winter knackt das Holz in unserem Lehmkuppelofen. Die Kinder erkunden den Hof, schauen nach den Tieren und sehen, wo die Karotte wächst, in die sie dann zu Hause genussvoll beißen.“

    Silke Lucht

    Das Prinzip „Grüne Brücke“

    Armin Luchts Leidenschaft gilt dem Ackerbau. Mit alten und neuen Methoden verbessert er die Bodenfruchtbarkeit. (Bild: Eva Müller)

    Dass der Feldboden sich so gut entwickelt und der Anteil an Humus wieder steigt, ist das Ergebnis von Armins Forscherdrang. Seit drei Jahren bearbeitet er seinen Boden nach einem neuen Prinzip, zu dem er auch einen Kurs belegt hat. Es nennt sich „Grüne Brücke“. Das bedeutet, dass der Boden zwischen den Saaten wie etwa Getreide ganzjährig mit einer grünen Pflanzendecke bewachsen ist – als sogenannte Untersaat oder Zwischensaat. Die Saatgemische, die zwischen den Fruchtfolgen gesät werden, sind so zusammengestellt, dass genau die Pflanzen eingesetzt werden, die – je nach Boden – den gewünschten Einfluss auf die Erde nehmen. Diese Pflanzen werden nicht untergepflügt, sondern nur oberflächlich mit dem Boden vermischt, wo sie dann verrotten. Armin ist mit der Erde in seinen Händen zufrieden. „Der Boden wird zusätzlich nach einer speziellen Methode auf Spurenelemente untersucht. Je nach Bedarf werden diese ihm dann wieder zugegeben“, sagt er mit Blick auf die spielende fünfjährige Enkelin Anouk, die gerade bei ihren Großeltern Ferien macht. „Es gibt nichts Nachhaltigeres als die Qualität des Bodens – er bildet die Grundlage für gute und geschmackvolle Lebensmittel.“

    Zeit ist eine Zutat

    Das beweist das leckere Brot vom Guidohof, von dem uns Bäcker Maik warme Scheiben abschneidet und mit etwas Butter reicht. Die Backstube riecht nach Mehl und knuspriger Brotkruste; einige Backwaren, die nicht mit den Ökokisten in einem der sechs gelben Guidohof-Lieferwagen den Hof verlassen haben, kühlen auf Regalen ab. Auch der große, traditionell gebaute Holzbackofen gibt Stunden nach dem Backen noch etwas Wärme ab. 200 Brote passen hinein. Wie so vieles auf dem Guidohof ist auch die Bäckerei organisch gewachsen. Die ersten Brote buken die Luchts im Küchenherd, immer vier auf einmal. Im ersten Brotbackofen, den Armin Lucht selbst baute, konnten dann bereits vierzig Brote gleichzeitig gebacken werden. Dann baute er einen für hundert Brote. Den letzten hat er nicht mehr selbst gebaut: „Es gab zu viel zu tun auf dem Hof und der Ofenbau machte viel Arbeit“, sagt er fast entschuldigend.

    Dafür stammen alle anderen Zutaten – bis auf das Meersalz – vom Hof. Sogar die Hitze, die den Teig in Brot und Brötchen verwandelt, ist auf dem Guidohof „gewachsen“: Das Holz stammt aus dem eigenen kleinen Wäldchen. Dinkel, Roggen und Weizen aus Armins Demeter-Anbau werden direkt auf dem Guidohof gereinigt und von einer Steinmühle zu Vollkornmehl gemahlen. Am Vortag setzt der Bäcker einen Teig an, der dann über Nacht Zeit hat, um zu gehen. Armin ist überzeugt: „Die Zeit, die man dem Teig lässt, schmeckt man. Zeit ist eine Zutat.“ Ab nachts um zwei wird der große Ofen geheizt, in dem 200 Brote gleichzeitig gebacken werden können. Und immer mehr Ökokisten- Kund*innen und Hofladenbesucher*innen verlangten nach den duftenden Laiben und Brötchen, die innen luftig und außen knusprig sind.

    So wie das hofeigene Holz zum Heizen des Hofs und für die Backstube verwendet wird, schließt Armin viele Kreisläufe. Er hat selbst einen Biomeiler gebaut, der Wärme aus Holzhackschnitzeln erzeugt und damit das Gewächshaus beheizt. Die Hackschnitzel kommen dann zersetzt wieder auf die Felder. Genauso wie der Dung der Kühe und Bullen, die wiederum nur hofeigenes Grünfutter fressen.

    Biodynamische Präparate wirken!

    Armin Lucht erhält über Pflanzensaft-Untersuchungen Erkenntnisse über den Zustand der jeweiligen Pflanze. Das Verfahren gleicht dem aus dem Weinbau, wenn der Winzer die Trauben auf ihren Öchsle-Gehalt testet. „In meinen ‚Versuchsreihen‘ untersuche ich den Pflanzensaft direkt vor und erneut nach der Ausbringung von Hornkiesel. Das Ergebnis: Nach der Anwendung des Biodynamischen Präparats haben die Pflanzen rund 20 Prozent mehr Zuckergehalt. Das ist ein eindrücklicher Beweis und keine Glaubenssache mehr“, so der Demeter-Landwirt. Armin nutzt nicht nur Hornmist- und Hornkiesel- Präparate, sondern setzt auch Schachtelhalm und Baldrian rhythmisch ein – sowie Kalk nach Bedarf zur wachsenden Kultur. Er ist überzeugt: Die Wirkung der Biodynamischen Präparate zeigt sich auch auf lange Sicht.

    Ort der Begegnung

    Die Brote verströmen ihren Duft auch im gut besuchten Hofladen. „Dieses Fachwerkhäuschen, das für alle Besucher des Dreiseitenhofs die erste Anlaufstelle ist, wurde vom Vorbesitzer und Namenspatron Guido Müller einst als Hühnerhaus angebaut“, erzählt Silke Lucht. Dort stehen neben den Hof-Erzeugnissen auch andere. „Wir verkaufen nur Produkte, die uns voll und ganz überzeugen. Das sind natürlich Demeter-Waren, aber auch andere, die zu hundert Prozent öko sind“, erklärt Silke. Je nach Saison sind die Gemüse- und Obstkisten gefüllt mit bunten Guidohof- Früchten. Im Frühjahr leuchten sie vor allem in verschiedenen Grüntönen; es gibt unter anderem Postelein, Feldsalat, Kopfsalat, Kohlrabi, Mangold, Radieschen, Rucola und Lauchzwiebeln vom Guidohof. Neben Obst gibt es Wurst, Milch, Käse, Kaffee, Tee, Kräuter und Gewürze, weitere Molkereiprodukte und Süßes, aber auch Naturkosmetik und Bio-Reinigungsmittel. „Während die Eltern hier einkaufen, treiben sich die Kinder am liebsten draußen herum“, so Silke. Sie freut sich darüber. Deswegen gibt es auch keinen Hund auf dem Hof, der vor allem kleinen Kindern Angst machen könnte. 

    Die Türen des Guidohofs stehen allen offen, das ist hier Programm. Der Ort ist über die vielen Jahre zu einem ganz besonderen kulturellen Treffpunkt geworden. „Ich überlege mir ständig gemeinsam mit unseren Mitarbeitern neue Veranstaltungsformen“, erzählt Silke. Ihre Augen leuchten, wenn sie von vergangenen Kartoffel-Stoppel- Aktionen, syrischen oder vegan-ayurvedischen Kochabenden, dem Abenteuercamp, Yogastunden, Puppennäh- und Schmiedekursen sowie Massage- und Heilmittel-Workshops erzählt. Auch hier gilt: Die Luchts tragen weiter, was sie selbst begeistert, und stecken andere damit an. In der Vergangenheit haben sie sich zudem im „Netzwerk des guten Willens“ von Limbach-Oberfrohna engagiert. Hier boten sie Jugendlichen die Möglichkeit, das besondere, offene Gemeinschaftsgefühl auf dem Guidohof und sinnstiftende Arbeit zu erleben – damit sie sich nicht aus Orientierungslosigkeit extremen Gruppen anschließen.

    „Als wir hier vor 25 Jahren mit unseren beiden kleinen Töchtern ankamen, glich der Hof einer Ruine und wir lebten vorerst in zwei Zirkuswagen. Das Gute dabei: Wir lernten so ziemlich alle Gewerke, um den Aufbau selbst zu bewältigen. Mit Mut, Enthusiasmus und auch einer Portion Naivität haben wir das hinbekommen – und mit der Unterstützung von Nachbarn und Freunden, die immer zur rechten Zeit an unserer Seite standen.“

    Armin Lucht

    Lernen mit allen Sinnen

    Oft besuchen ganze Schulklassen den Hof. „Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gerade das ‚LernErlebnis Bauernhof‘ ansteht. Als geprüfter LernErlebnis-Bauernhof arbeiten wir schon einige Jahre mit Kindergärten und Schulen aus der Region zusammen“, erzählt Silke. Gemeinsam mit Mitarbeiterin Sophie hat sie verschiedene Lern-Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes entwickelt, Entdeckungsreisen wie „Vom Korn zum Brot“ oder „Vom Samen zum gemeinsamen Essgenuss“. „Am Wichtigsten ist uns, dass wir den Kindern das Leben im Rhythmus der Natur und die Liebe zur Erde zeigen können. Hier können sie den Hof und sich selbst mit allen Sinnen erfahren“, sagt sie. Viele der besuchenden Schulen und Kindergärten bekommen auch ihr Schulobst von den Luchts geliefert. Dieses hat sich neben der Ökokiste zu einem wichtigen Vertriebsweg entwickelt.

    Armin Lucht zeigt Redakteurin Susanne Kiebler bei einer Hofführung die Vielfältigkeit des Guidohofs. (Bild: Eva Müller)

    Vom Guidohof in die Welt

    Kinder erfahren sich selbst und die Natur: Auf dem Guidohof erleben Kinder Landwirtschaft und Natur mit allen Sinnen. Ein idealer Ort, um Wissen praktisch zu vermitteln. (Bild: Silke Lucht)

    Als wir uns spätnachmittags verabschieden von Silke und Armin, erzählt Silke, dass sie selbst bald den Guidohof für einige Zeit verlassen wird. Sie will sich ihren Lebenstraum erfüllen und auf Reisen gehen. Neue Impulse bekommen und mit zurück nach Hause bringen. An fremden Orten ganz bei sich sein und gewachsen zurückkommen. Indien, Nepal, vielleicht auch Neuseeland? Sie will sich treiben lassen und dort bleiben, wo es sich richtig anfühlt. Wir umarmen sie. Und wissen, dass sie nicht nur die Welt nach Hause bringen, sondern auch den Guidohof ein Stück in die Welt hinaustragen wird.

    Lebendige Erde: Humus ist ein besonders fruchtbarer Bestandteil des Bodens und bedeckt meistens die obersten 10 bis 30 Zentimeter. Diese Schicht enthält verrottete Pflanzenteile und ist daher oft sehr dunkel und besonders wichtig für Pflanzen und Tiere. (Grafik: Laleh Torabi)

    Der Guidohof ist ein sehr vielseitiger Demeter-Hof. 25 Kilometer von Chemnitz entfernt, liegt er in einer sanften Hügellandschaft.

    Die Öffnungszeiten des Hofladens sind:

    • Dienstag: 15 bis 19 Uhr
    • Freitag: 10 bis 19 Uhr
    • Samstag: 09 bis 12 Uhr

    www.guidohof.com