„Deutschland ist mittlerweile Entwicklungsland beim Öko-Landbau

Dietrich Pax ist Demeter-Landwirt auf dem Gärtnerhof Callenberg in Coburg in Oberfranken. Mit ihm sprach Journalistin Cordelia Hiller über das Volksbegehren Artenvielfalt, das noch bis zum 13. Februar in Bayern läuft. Die Initiatoren des Volksbegehrens fordern unter anderem mehr Bio-Flächen, Biotopverbünde, mehr Blühwiesen und weniger Pestizide.

Herr Pax, warum sind Sie für das Volksbegehren Artenvielfalt?

Dietrich Pax: Während wir uns hier so nett unterhalten, ist in Bayern wahrscheinlich schon wieder irgendeine Schmetterlingsart ausgestorben. Das heißt: Wir befinden uns beim Artensterben in einem rasanten Wettlauf mit der Zeit – wenn es nicht schon zu spät ist. Mit der jetzigen Agrarpolitik in Bayern rotten wir uns selber aus. Das hat jetzt bestimmt jeder verstanden. Das Volksbegehren Artenvielfalt ist einer der letzten Chancen, noch das Ruder herumzureißen. Wer jetzt nicht unterschreibt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Wie haben Sie als Landwirt das Insektensterben bemerkt?

Dietrich Pax: Wenn ich früher nach dem Mähen einer Wiese wieder in die Garage gefahren bin, befand sich auf dem Mähwerk eine zirka drei Zentimeter wabernde Masse an sterbenden Insekten, die mit der Mahd zerhäckselt worden sind. Heute kann ich das Mähwerk nach getaner Arbeit wieder blitzeblank in die Garage fahren – denn es gibt kaum noch Insekten. Abgesehen davon merkt man als Landwirt ganz deutlich, dass die Flur kaum mehr belebt ist, und es früher viel mehr Vögel gab, die sich von Insekten ernähren.

Viele Landwirte fühlen sich vom Volksbegehren bedroht. Warum Sie nicht?

Dietrich Pax: Ich sehe das Volksbegehren eindeutig als einmalige Chance für uns Landwirte. Wir beziehen unser Einkommen ja aus zwei Säulen: Erstens aus dem Verkauf unserer Produkte und zweitens aus Fördergeldern. Beide Einkommen reichen oft nicht aus, außer man hat einen riesigen Betrieb. Endlich hat die Öffentlichkeit erkannt, dass die Fördergelder in eine Leistung fließen müssen, die gesellschaftlich dringend benötigt wird – nämlich eine artenreiche und pestizidfreie Landwirtschaft. Diese Dienstleistung für die Gesellschaft, eine artenreiche und pestizidfreie Landbewirtschaftung, muss natürlich zuverlässig vergütet werden. Insbesondere kleinere Betriebe, die derzeit aufgrund des Preisdrucks aufgeben müssen, fänden durch das Volksbegehren ein zuverlässiges Standbein.

Viele Landwirte sehen sich in der jetzigen Diskussion persönlich angegriffen. Geht Ihnen das auch so?

Dietrich Pax: Nein, überhaupt nicht. Das Volksbegehren kritisiert die Agrarpolitik, nicht die Landwirte. Wir sind ja auch nur Opfer der Agrarpolitik. Ich bin voll auf der Seite des Volksbegehrens gegen die jetzige Agrarpolitik. Als Öko-Bauer kommt mir aber auch sonst viel Wertschätzung von meinen Mitmenschen entgegen.

Ist wirklich nur die Agrarpolitik schuld?

Dietrich Pax: Nein, auch die Endkonsumenten sind schuld: Die Verbraucher formen mit ihrem Einkaufsverhalten die Landschaft, über die sie sich dann am Ende des Tages beschweren. Nur wer Bio und regional einkauft, stoppt das Artensterben und hilft den bayerischen Bauern. So einfach ist es.

Sie haben jetzt am Goldbergsee ein interessantes Projekt gestartet. Wie sieht das aus?

Dietrich Pax: Mit einem alten Balkenmäher, der die Insekten eben nicht zerhäckselt, habe ich dort eine Wiese gemäht und alle zehn Meter einen Streifen Wiese stehen lassen, damit sich die Insekten nach der Mahd zurückziehen und weiterleben können. Grundsätzlich kann man als Landwirt schon viel erreichen, wenn man kleine Stellen oder Streifen Wiese stehen lässt. Dass die Landschaft wie ausgeräumt aussieht und die Tiere gar keinen Lebensraum mehr haben, muss aufhören! Das ist doch eigentlich ganz einfach zu verstehen.

Und düngen darf man schon?

Dietrich Pax: Auch das ist ganz einfach: Ich darf genau die Nährstoffmenge wieder auf dem Feld aufbringen, die ich ihm vorher entnommen habe: Beispiel: Ich mähe meine Wiese, füttere mit der Ernte meine Kühe und dünge danach das Feld mit genau der Menge Gülle, die ich damit gewonnen habe. Das ist völlig in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, Futter aus den USA zu beziehen und mit der daraus entstandenen Gülle meine Felder zu düngen. Damit mache ich die ganze Natur kaputt. Eigentlich müsste man die daraus produzierte Gülle dann in einen Container füllen und sie über das Meer wieder zurück nach Amerika schicken.

Wie reagieren denn Pflanzen Ihrer Erfahrung nach auf übermäßige Düngung?

Dietrich Pax: Die Pflanzen werden dadurch zum Wachstum gezwungen, ob sie wollen oder nicht. Die Zellwände werden extrem dünn, und deswegen sind konventionelle Pflanzen viel weniger widerstandsfähig als Bio-Pflanzen, die man nicht mit Spritzmitteln künstlich hochpäppeln muss. Das ist auch der Grund, warum der Übergang von konventionellem Anbau zum Bio-Anbau schwierig ist und von den Landwirten viel Geduld erfordert: Es braucht Zeit, bis die konventionellen Pflanzen und Böden wieder alleine mit ihrer Umwelt zurechtkommen.

Apropos Spritzmittel: Sie als Demeter-Landwirt dürfen ja keine chemischen Pflanzenschutzmittel einsetzen. Wie machen Sie, wenn Ihre Pflanzen von Schädlingen befallen sind?

Dietrich Pax: Also erst einmal wehre ich mich gegen das Wort ‚Pflanzenschutzmittel‘! Eigentlich müsste es ‚Allestötungsmittel‘ heißen, denn es tötet alle unerwünschten Pflanzen ab bis auf eine, daher auch der wissenschaftliche Name ‚Pestizide‘. Dass das nicht naturnah ist, muss jedem klar sein. Als Biolandwirt habe ich großes Wissen über die genauen Abläufe in der Natur. Ich habe zum Beispiel in meinen Gemüse-Gewächshäusern an den Rändern einen Streifen mit Beikraut. In diesem Streifen mit Unkraut wohnen genügend Nützlinge, die Schädlingsangriffe ganz von alleine abwehren, da muss ich gar nichts machen. Dann halte ich eine genaue Kulturfolge ein, um die Böden nicht auszuzehren. Und ich reichere die Böden mit Humus durch Gründüngungspflanzen und verkompostierten Schafsmist an, um die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserhaltefähigkeit zu erhöhen. Nebenbei bindet dieses Verfahren auch noch jede Menge CO2. Es gibt hier unendlich viel Wissen von unseren Vorfahren, auf das wir zurückgreifen können. Das Schlimme ist, dass das in den Landwirtschaftsschulen überhaupt nicht mehr unterrichtet wird. Wie sollen denn dann die so mangelhaft ausgebildeten Landwirte Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in der Natur gerecht werden? Das ist völlig unmöglich und das ist ein gesellschaftliches Problem! Das will das Volksbegehren jetzt ändern, und das ist auch wirklich allerhöchste Zeit!

Wenn man Deutschland mit anderen Ländern vergleicht, wie schneiden wir da bei naturgerechter Bewirtschaftung ab?

Dietrich Pax: Man kann es kaum glauben, aber Deutschland ist mittlerweile ein Entwicklungsland beim Öko-Landbau! Wir waren zwar Vorreiter in der Ökobewegung in den 1980er Jahren, aber mittlerweile kann das Ausland unsere Landwirtschaft nur belächeln. Südkorea, wo es die große Biobauernvereinigung Hansalim gibt, ist weiter als wir in Deutschland. Indien, das mit Bundesstaaten schon komplett auf Bio umgestiegen ist, ist weiter als wir. In Albanien, wo fast jeder noch einen Selbstversorgergarten hat, gibt es in jedem Straßenlokal gesünderes Essen als bei uns in den teuren Restaurants. Wir sind ein so hochentwickeltes Land und trotzdem so rückständig, was die Ernährung und die Landwirtschaft angeht. Wir rotten uns in Deutschland selbst aus. Die Bundesregierung muss sich auch fragen, ob sie mit der bestehenden Agrarpolitik den Standort Deutschland sichert. Wer will in 100 Jahren noch in Deutschland leben, wenn es hier keine Insekten mehr gibt, die Natur zerstört ist und die Lebensmittel Chemie-Produkte sind? Will man dann nicht eher in der herrlichen Natur im Himalaya-Staat Sikkim leben, der schon jetzt komplett auf Bio umgestellt hat?

Mehr Informationen zum Volksbegehren Artenvielfalt

Filmtipp: Die Öko-Rebellen vom Himalaya vom ZDF