Biodynamie erhält ein Gesicht

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Von der Freiheit,
den richtigen Wein zu machen

von Romana Echensperger

Biodynamisches Winzerhandwerk im Portrait
Westend Verlag, 288 Seiten, 32 Euro

Inkl. Interview mit Demeter-Vorstand Alexander Gerber

Buch-Rezension von Joachim Schalinski

Dass ausgerechnet eine Sommelière, zumal mit dem Abschluss „Master of Wine“, ein Buch über Biodynamie schreiben würde, das es auf Anhieb zum Standardwerk im Weinbau schaffte, hätte sich lange Zeit kaum jemand in der Weinwirtschaft, wohl schon gar nicht seitens der großen multinationalen Agrar- und Chemie-Konzerne, träumen lassen. Doch nun ist es soweit und – Chapeau! – die Herausforderung gewaltig: „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“, lautet der Titel und im Untertitel: „Biodynamisches Winzerhandwerk im Porträt“.

Um es gleich vorweg zu nehmen: 170 Jahre Industriezeitalter haben nicht nur als Anthropozän dem Klima deutliche Spuren aufgedrückt, auch der Weinbau als Teil der Landwirtschaft zeigt inzwischen eine massive Prägung, weshalb sich die Menschheit heute in beiden Fällen der brennenden Frage der Nachhaltigkeit ihres Tuns gegenübersieht. Und das in mehrfacher Hinsicht. Terroir ist längst nicht mehr immer Terroir!

Dem an Biodynamie interessierten Leser, der sich Romana Echenspergers Buch offen und unverkrampft stellt, offenbart sich hier ein faszinierendes wie höchst aufschlussreiches Kaleidoskop unterschiedlichster Herangehensweisen. Gemeinsam mit dem Fotografen Konstantin Volkmar ist ihr ein sinnenfrohes und staunenswert informatives Buch gelungen. Nicht allein zwölf herausragende Winzer von Spitzenweingütern in Deutschland, dem Elsass in Frankreich, Österreich und Südtirol werden porträtiert, darunter Peter Bernhard Kühn (Rheingau), Alois und Clemens Lageder (Südtirol), Bernhard Ott (aus Wagram in Niederösterreich), Franz Weninger (Mittelburgenland), Weingut Dr. Bürklin-Wolf (Pfalz), Frank John (Pfalz), Familie Saahs (Nikolaihof / Wachau), Olivier Humbrecht (Elsass), Loimer (Kamptal), Boesch (Elsass), Busch (Mosel) und Goëss-Enzenberg (Südtirol). Romana Echensperger lässt auch Dr. Alexander Gerber von Demeter Deutschland und Prof. Dr. Randolf Kauer von der Hochschule Geisenheim sowie sein Team um Dr. Johanna Döring und Yvettte Wohlfahrt M. Sc. zu Wort kommen.

Leiten lassen hat sich die aus Bayern stammende Autorin von dem Ziel, keine Gegenposition zur konventionellen Wirtschaftsweise darzustellen, sondern vielmehr den Blick zu erweitern. „Biodynamie ist kein Dogma, sie lebt von der Individualität.“ Und, sagt sie: „Die Ansätze der Biodynamie können die naturwissenschaftliche Sichtweise ergänzen, um die besten Lösungen für die zunehmenden Umweltprobleme zu finden, die in der Landwirtschaft, und dazu gehört auch der Weinbau, verursacht werden.“

Beobachter der Szene ebenso wie auch langjährig praktizierende Insider werden sich gleichwohl, selbst auf die Gefahr hin polarisierend zu wirken, nicht scheuen zu behaupten: Alle Erfahrung hat bislang gezeigt, am Königsweg Biodynamie führt kein Weg mehr vorbei! Romana Echensperger formuliert es etwas zurückhaltender so: „Die Bedeutung und Möglichkeiten dieser wiederentdeckten Wirtschaftsweise für Mensch und Umwelt sind immens!“

Der Buchtitel „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“ kristallisierte sich für die Autorin während der Recherche heraus, berichtet sie. So fiel ihr bei den Gesprächen auf: Das zentrale Motiv der Winzer für die Umstellung weg vom konventionellen Weinbau war stets die Suche nach Freiheit. Diese versteht sich gleichwohl nicht als uneingeschränkt, sondern als „Freiheit in Verantwortung – für sich, seine Mitarbeiter und Kunden sowie seine Scholle Land, die man gestalten darf.“ Somit geht es auch nicht darum, zu definieren, was ein „richtiger Wein“ ist. Romana Echensperger geht es nicht um Bevormundung. Das wäre Entmündigung. Nein, sie will einzig befähigen.

Im Tenor geht es ihr denn auch um nichts Geringeres als aufzuzeigen, was Biodynamie ist – und zwar rezeptfrei vor dem Hintergrund einer historischen Entwicklung der Landwirtschaft und des Weinbaus hin zur Industrialisierung und was diese biologisch-dynamische Wirtschaftsweise bewirkt im Unterschied zur konventionellen Herangehensweise. Deshalb überlässt die Autorin die Interpretation dieses Ansatzes auch konsequent ihren Gesprächspartnern, die sie hierfür im Laufe eines Jahres interviewt und im Buch porträtiert hat.

Fazit: Echenspergers Buch ist ein brand-aktuelles, höchst eindrucksvolles und äußerst spannendes Unterfangen, das zudem behänd geschrieben jeden Respekt verdient! Einzig der Gesundheitsaspekt, der landwirtschaftliche wie der weinwirtschaftliche, hätte noch kräftiger hinterfragt werden sollen. Nachhaltige Landwirtschaft muss nun mal holistisch gesehen werden. Insgesamt aber aus der Sicht eines jahrzehntelangen intensiven Beobachters der internationalen Weinszene ebenso wie der Agrikultur generell ist das im Westend-Verlag erschienene Werk die lang-ersehnte, aber in ihrer Vielfalt wie auch differenzierten Herangehensweise prägnanteste und überzeugendste Argumentation für eine zukunftsweisende Weinwirtschaft, die kompromisslos ausgerichtet ist auf absolute Vitalität und höchste Qualität anstelle des stur-einfältigen, ja auch rücksichtslosen Primats von maximalem Profit. Und gerade dieses ist das eigentliche Verdienst des Buches, das nun zum Standardwerk zur Biodynamie im Weinbau gezählt werden darf. Erstaunlich nur, dass es offensichtlich erst einer Sommelière mit dem Titel Master of Wine, der schwierigsten Weinprüfung der Welt, bedurfte, um auf die immense Bedeutung des biodynamischen Winzerhandwerks aufmerksam zu machen.

Zur Person

Romana Echensperger: Nach Stationen als Chef Sommelière in verschiedenen Spitzenrestaurants machte sie sich 2011 selbständig. Heute arbeitet sie als Berater sowie Ausbilder für Kunden aus dem In- und Ausland. Als Weinjournalistin schreibt sie regelmäßig für deutsche und niederländische Magazine. Bei den Tageszeitungen des DuMont Verlages hat sie ihre eigene Weinkolumne. Für das Deutsche Wein Institut gestaltet sie überdies regelmäßige Workshops über die vielen Facetten des Deutschen Weines. Seit 2015 ist sie „Master of Wine“, eine von derzeit 409 Menschen, die den höchsten Titel der Weinwelt erreicht und damit die schwierigste Weinprüfung der Welt beim Institute of Masters of Wine (IMW) in London bestanden. Der Titel „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen – Biodynamisches Winzerhandwerk im Porträt“ ist ihr erstes Buch. 288 Seiten, Westend-Verlag, 32 Euro.“